Musikalisch komplex, szenisch eindimensional: Donizettis „Maria Stuarda“ am Vorarlberger Landestheater
Selten hat das Vorarlberger Landestheater mit seinem Partner, dem Symphonieorchester Vorarlberg (SOV), seine Wahl für die einzige Oper im Jahresspielplan so früh bekanntgegeben wie im Fall von „Maria Stuarda“. Seit nahezu zwei Jahren weiß man, dass man sich nach dem dramatischen Oratorium „Jephtha“ von Händel (das übrigens bestens geriet) wieder etwas Gängigem zuwendet, dem man in einem Haus, das keine Zweispartenbühne ist, ob des Engagements der Sängerinnen und Sänger aber mit besonderem Interesse entgegenblicken konnte. Dass die Parkettreihen bei der Premiere im Bregenzer Kornmarkttheater nicht vollends besetzt waren, mag am Termin liegen. Belcanto steht beim Publikum im Allgemeinen hoch im Kurs und wenn Gaetano Donizetti drauf steht, dann weiß man, dass, salopp gesagt, trotz aller Tragik der Handlung mit einem Todesurteil etwas Beschwingtes drin ist.
Viele positive Aspekte, aber . . .
Für das richtige Mischungsverhältnis hat der hier debütierende Dirigent Arturo Alvarado ein ausgezeichnetes Gespür. Außerdem konnte er sicher sein, dass der Klangkörper, der überwiegend auf dem Konzertsektor agiert, nach jüngsten Rossini-Produktionen bei den Bregenzer Festspielen gut geölt ist. Nachdem man Donizettis „Liebestrank“ schon vor ein paar Jahren realisierte und sich kurz nach der in den 1990er-Jahren begonnenen Zusammenarbeit mit dem Landestheater an „Lucia di Lammermoor“ wagte, konnte eine der drei Tudor-Opern dieses Komponisten keine zu große Herausforderung darstellen. Routiniertheit ist sowieso Voraussetzung, deren Schattenseiten brauchte man nicht zu befürchten. Die Konzentration übertrug sich auf die gesamte Atmosphäre, die von einem einnehmenden Spannungsbogen gekennzeichnet war, der sich vom Anfang bis zum Schluss durchzog. Die Effekte mit den charakterlichen Unterschieden zwischen den Partien der Königinnen Elisabetta und Maria sind für Musikkenner ohnehin legendär, Alvarado gönnt sie dem Publikum bis hin zu Marias ordinärer Beschimpfung. Immer gut eingebettet in das musikalisches Gesamtbild bzw. Konzept und unterstützt von einer Personenregie, in der Teresa Rotemberg zumindest ihre choreografischen Kenntnisse gut ausspielt, erhält die Produktion eine mitreißende Dynamik
Neben der guten Besetzung sind das die vielen positiven Aspekte. Wem es reicht, den Konflikt zwischen Elisabetta und Maria auf der Ebene eines fiktiven Eifersuchtsdramas mitzuerleben, auf der die Rivalität zwischen Herrschenden zumindest angedeutet ist, der wird auch mit dieser Inszenierung glücklich. Wer zwar zur Kenntnis nimmt, dass Frauenfiguren in den Opern des 19. Jahrhunderts zumeist Liebende und Leidende sind, sich angesichts der Nennung von historischen Figuren wie Elizabeth I. und Mary (Queen of Scots) durch Donizetti und seinem Librettisten Giuseppe Bardari aber dennoch ein stärkeres Eingehen auf die politische Komplexität der Geschehnisse und der charakterlichen Strukturiertheit der Protagonisten wünscht (dass dies in zeitgenössischen Inszenierungen trotz des diesbezüglich simplen Librettos geliefert werden kann, wird an Opernhäusern durchaus dokumentiert), der geht weitgehend leer aus. In guten Aufführungen des Trauerspiels „Maria Stuart“ von Friedrich Schiller wird letztendlich auch nicht mehr betont, dass dem Dramatiker mächtige Frauen, die wussten, warum sie ihre Gefühle hintanstellen, an sich suspekt waren und dass die katholische Maria in Donizettis Italien sympathischer zu zeichnen war als die protestantische Elisabetta ist auch kein Geheimnis.
Da ist also noch Luft nach oben. Auch was die Ausstattung betrifft, die in einer Art Gefängnisbox beginnt und endet, denn ein einfallendes Licht beim Öffnen der Türen, einen stilisierten Thron, einen Schreibtisch sowie ein schemenhafter Auftritt des Grafen von Leicester als Verehrer von Maria, geben sich nicht als besondere Ideen zu erkennen. Sabina Moncys entwarf auch die Kostüme, die Elisabetta etwas Generalartiges mit fragwürdig märchenhaftem Touch in Richtung Zirkusdirektor verleihen, während sich Maria vom braven Mädchen im blauen oder gelben Kleidchen über die sichtlich Gefangene zur verurteilten Regentin in der Prachtrobe ihrer Zeit mausert und im roten Kleid zur Hinrichtung schreitet. Da hat jemand die Schilderung der Enthauptung nachgelesen und doch noch die Historie bemüht, was hier aber nur von ästhetischem Reiz ist, anderswo eingesetzt aber zu mehr Vielschichtigkeit der Inszenierung geführt hätte.
Sei’s drum. Sollte die Oper das Interesse geweckt haben, so empfiehlt sich die Auseinandersetzung mit der Biografie von Elizabeth I. und dem was die schon in jungen Jahren überaus kluge Frau durchgemacht hat, um als Tochter von Heinrich VIII. und seiner zweiten Frau Anne Boleyn (der sich Donizetti bekanntermaßen auch gewidmet hat) überhaupt auf den Thron zu kommen und hernach ein Zeitalter zu prägen.
Die weiteren Kostüme sind heutig, wobei sich nicht erschließt, warum die Männer Langhaarfrisuren tragen. Sieht hübsch aus – und sonst?
Bereits bei den Bregenzer Festspielen
Besucher der Bregenzer Festspiele haben Eva Bodorová noch gut als Mitwirkende der Opernuraufführung „Impresario Dotcom“ von Lubica Cekovská in Erinnerung, die Intendantin Elisabeth Sobotka im Sommer 2020 durchsetzte, als die Festspiele wegen der Pandemiegesetze zu Festtagen geschrumpft werden mussten. Als Maria bringt sie ihren traumhaft schön gefärbten und biegsamen Sopran von den Koloraturen bis hin zum verlangten Singen mit halber Stimme zur Wirkung. Sofia Soliviy verleiht Elisabetta die geforderte Härte und bewältigt die wesentlich umfangreicheren charakterlichen Differenzierungen in ihrer Partie derart gut, dass doch noch einiges von ihrem Konflikt transparent werden kann. Hyunduk Kim (Graf von Leicester) war bereits in einer Opernstudioproduktion der Bregenzer Festspiele besetzt. Er ist absolut in der Lage, die Stimme kraftvoll aufblühen zu lassen, die Figur desjenigen, auf den (laut Libretto) beide Königinnen ein Auge geworfen haben, kann man ihm aber beim besten Willen nicht abnehmen. Intrigantentum und Stimme von Gabriel Wernick sind für Cecil hingegen perfekt, Andrii Ganschuk gelingt eine ideale Gestaltung des Talbot und Lucija Varsic bietet als Anna große, berührende Momente. Der von Benjamin Lack geschulte Chor überzeugt wiederum mit Kompaktheit.
Musikalisch ist diese „Maria Stuarda“ eine dichte Produktion mit gutem Spannungsbogen.
Ein paar Sätze zur Zukunft der Oper am Landestheater
Laut Recherchen soll es in der nächsten Spielzeit des Vorarlberger Landestheaters keine Oper mehr geben. Aus Kostengründen will man ein Jahr pausieren und schließlich zu einem Zweijahresrhythmus übergehen. Wer einigermaßen rechnen kann, für den ist es plausibel, dass die im Vergleich zum Sprechtheater um ein Vielfaches teurere Musiktheaterproduktion angesichts der seit Jahren nicht mehr erhöhten (und einmal sogar gekürzten) Subventionen, aber gestiegener Kosten nicht mehr finanzierbar ist. Intendantin Stephanie Gräve machte schon vor einiger Zeit darauf aufmerksam.
Insider wissen, dass bei der Stückauswahl schon seit Jahren bedacht werden muss, dass die Werke mit kleiner Besetzung zu realisieren sind und dass der bühnentechnische Aufwand in einem strengen Rahmen bleibt.
Die Lösung ist einfach: Kulturpolitik heißt Rahmenbedingungen schaffen. Will man im Bundesland, in dem man sich mit einigem Stolz auf die hohe Qualität der musikalischen Ausbildung und die Dichte des Angebots beruft, im Bundesland mit einzigartig ausgerichteten Festspielen auch im Landestheaterprogramm eine Oper haben, so sind die Mittel dafür bereitzustellen.
Schon Christoph Eberle, Gründer des reüssierenden SOV und Mitinitiator dieser Opernproduktion in Kooperation mit dem damaligen von Bruno Felix geleiteten Theater für Vorarlberg (das seit über zwanzig Jahren nun eine Landesbühne ist) meinte einst bezeichnend, dass es die Politiker leider allzu oft einfach nur dabei belassen, ihm anerkennend auf die Schulter zu klopfen.
Christa Dietrich
Weitere Aufführungen von „Maria Stuarda“ am Vorarlberger Landestheater in Bregenz am 16. , 22. , 24. und 28. März um 19.30 Uhr; am 19. und 26. März sowie am 2. April um 17 Uhr.