Ambitioniert: Anmerkungen zur “Giuditta”-Produktion beim Musiktheater Vorarlberg

Ambitioniert: Anmerkungen zur “Giuditta”-Produktion beim Musiktheater Vorarlberg

Selbst produzieren und dabei gerne vom gängigen Repertoire abweichen, lautete die Absicht von Nikolaus Netzer als er vor Jahren das Festival Montafoner Sommer quasi aus dem Hut zauberte. „Der Jahrmarkt“ von Anton Benda oder Glucks „Le Cinesi“ seien als Beispiele kleiner Wiederentdeckungen genannt, die er in Konzerte einbettete, mit denen er Künstlerinnen und Künstlern aus der Region Auftrittspodien verschaffte. Ohne entsprechendes Budget ließ sich die wertvolle Initiative allerdings nicht prolongieren. 

Mittlerweile kennt man Nikolaus Netzer, den Dirigenten und engagierten Pädagogen, als Direktor der Musikschule Feldkirch sowie als Leiter des aus der Operettenbühne Götzis hervorgegangenen Musiktheater Vorarlberg. Auch dort zeigte man sich in der Werkwahl ambitioniert. Man erinnere sich nur an Bellinis „I Capuleti e i Montecchi“. Neben dem großen Symphonieorchester Vorarlberg, dem Kammerorchester Arpeggione, weiteren Klangkörpern und kleineren Ensembles, belegt der Verein das beachtliche musikalische Potenzial im Land. Das ist angesichts der neuesten Produktion sowohl Intention Netzers als auch sein Verdienst. Melodienreichtum, satte Walzerklänge, exotische Anleihen, Rhythmus, Temperament – alles kommt in „Giuditta“ zur Entfaltung.

Auf Unterhaltung zu setzen, dafür braucht es keine Rechtfertigung und nichts ist so müßig, wie die Diskussion darüber welchem Genre „Giuditta“, 1934 uraufgeführt an der Wiener Staatsoper, angehört. Franz Lehár selbst bezeichnete sein letztes Bühnenwerk, das die Dimension einer Operette sprengt, als „Musikalische Komödie“. Damals ein Riesenerfolg, ist das Werk wohl auch aufgrund der Zeit der Handlung in den 1930er-Jahren im Vergleich etwa zu „Land des Lächelns“ aus den Repertoire-Hitlisten verschwunden. Nummern wie „Meine Lippen, die küssen so heiß“ oder „Freunde, das Leben ist lebenswert“ stehen jedoch auf Konzertprogrammen.

Eine „Giuditta“-Produktion, die ich bestens in Erinnerung habe, ist jene an der Staatsoper in München. Der Regisseur und Musiker Christoph Marthaler verwendete Lehárs Werk auch als Folie für die Auseinandersetzung mit Lehárs Zeitgenossen und deutete dabei nicht nur auf die Besetzung Libyens durch die Italiener, sondern auch auf das, was sich bereits in Deutschland abzeichnete. (Angeführt sei die Emigration von Jarmila Novotná und Richard Tauber, der Protagonisten der Uraufführung, wenig Jahre nach ihrem Erfolg in die Vereinigten Staaten und nach Großbritannien sowie die Ermordung des jüdischen Librettisten Fritz Löhner-Beda.)

Ein guter Kniff, das mit den 1920er-Jahren

Es ist an sich ein guter Kniff, dass das Musiktheater Vorarlberg die Zeit der Handlung von „Giuditta“ um gut zehn Jahre zurückdrehte. Von der Ausstattung her befinden wir uns somit in den 1920er-Jahren. Der für Regie, Bühne und Kostüme zuständige Norbert Mladek hat sich die Outfits der Flapper Girls gut angesehen. Fransenröcke, Riemchenschuhe, Stirnband, grelle Schminke – alles ist da, alles glitzert in den drehbaren Spiegelwänden, nur das eigentlich Freche, Rebellische fehlt. „Giuditta“ erzählt von einer Frau, die ihren Ehemann verlässt, sich in den Offizier Octavio verliebt und mit ihm von Sizilien nach Nordafrika ausreist. Dort besinnt Octavio sich dann aber auf seine militärischen Pflichten, während sie ihren Lebensunterhalt als Tänzerin verdient und – na klar – Männerbekanntschaften hat. Bei der Wiederbegegnung ist sie Octavio als selbstbestimmte Frau fremd geworden. Es wird nichts mehr aus den Beiden. Während sich Lisa und Sou-Chong im „Land des Lächelns“ – auch eine Operette ohne Happy-End-Eheschließung – beispielsweise einvernehmlich trennen, wird Giuditta in dieser Inszenierung jedoch plötzlich zur verzweifelt verlassenen Frau. Kein Flapper Girl und auch keine Variante der selbstbewussten Bizet’schen Carmen, die die Schöpfer des Werks übrigens durchaus im Sinn hatten. 

Wie viele schöne Möglichkeiten hätte Bettina Wechselberger doch gerade bei einer solchen Akzentuierung gehabt? Die mittlerweile als Direktorin der Musikschule Bregenz tätige Sopranistin, macht das Beste daraus, steht quasi über den Dingen, bewältigt die Partie mit einiger Grandezza und bleibt angenehm in Erinnerung. Angesichts des Endes möchte man ihr sowieso zurufen, dass es der Typ eh nicht wert ist. Womit selbstverständlich nur die Figur des Octavio gemeint ist, die Patrik Horňák etwas angestrengt in der Höhe, aber sonst in guter stimmlicher Verfassung vermittelt. Glänzend besetzt ist auch das Buffo-Paar mit Jana Stadlmayr und Daniel Raschinsky. Riccardo di Francesco gefällt als Manuele und dass versierte Vereinsmitglieder bzw. Chorsolisten mit kleineren Rollen betraut werden, ist eine Tugend, der man nachkommt und mit der man augenzwinkernde Momente erzeugt.

Warum diese Bemerkung zur Regie in diesem Bericht der zweiten Aufführung in der Bühne AmBach in Götzis? Bei einer Produktion, die es nur gibt – und das möchte ich betonen -, weil sich viele ehrenamtlich tätige Musikbegeisterte mit beachtlichem Aufwand dafür einsetzen, ist es angebracht, von den Profis Ideen und somit einen inszenatorischen Zugriff zu fordern.

Dirigent Nikolaus Netzer hat seinen Part erfüllt wie Christine Hefel, Leiterin der Dance Art Company, deren Mitglieder beachtliches Niveau zeigten. 

Basierend auf der Tatsache, dass das Musiktheater Vorarlberg viele Freunde hat, Publikum aller Altersschichten anzieht und mit Musikerinnen und Musikern aus der Region ambitionierte Projekte realisiert, wäre längst zu klären, inwieweit hier Entwicklungen aufgrund zu bescheidener Investitionen durch die öffentliche Hand gebremst werden.

Weitere Aufführungen vom 11. bis 15. Oktober in Lustenau und Götzis.

Foto: Gmeiner

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