“Die Judith von Shimoda”: In Bregenz uraufgeführt und nun in Wien zu sehen

“Die Judith von Shimoda”: In Bregenz uraufgeführt und nun in Wien zu sehen

Mit „Die Judith von Shimoda“ von Fabián Panisello setzten die Bregenzer Festspiele heuer ihre Uraufführungsserie fort. Die mit der Neuen Oper Wien realisierte Musiktheaterproduktion ließ nahezu vergessen, dass der österreichischen Erstaufführung der bearbeiteten Nachdichtung eines japanischen Schauspiels durch Bertolt Brecht und Hella Wuolijoki wegen ihrer Oberflächlichkeit einst kein Erfolg beschieden war.

Ich hatte für die APA rezensiert. Ab 2. November läuft die Produktion nun in Wien.

Juan Lucas hat aus der 1929 veröffentlichten, auf einer historischen Überlieferung basierenden Kernhandlung von Yamamoto Yūzō, dem von Brecht und Wuolijoki um 1940 im finnischen Exil erstellten Rahmen sowie der 2006 geschaffenen Überarbeitung des Germanisten Hans Peter Neureuther ein Libretto zurechtgestutzt. Darin wird es den Gästen eines japanischen Medienmoguls und Politikers – darunter ein Engländer und eine Amerikanerin – ermöglicht, die Szenen eines Theaterstücks aus dem 19. Jahrhundert ausführlich und dabei auch zynisch zu kommentieren. Dieses handelt von der Geisha Okichi, die den Auftrag annimmt, einen amerikanischen Konsul (untertänig) zu bedienen, um die Gefahr der Beschießung der Stadt Shimoda abzuwenden. Das Interessante daran: Okichi ahnt, dass ihr die Profiteure ihres Handelns für ihre Tat nicht danken werden, sondern, dass sie danach als „Ausländerhure“ geächtet wird.

Was tun, damit sich das ursprüngliche Konstrukt mit mehr Spannung auflädt als bei der Schauspielerstaufführung im Jahr 2008 im Wiener Theater in der Josefstadt? Walter Kobéra, Leiter der Neuen Oper Wien, und Elisabeth Sobotka, Intendantin der Bregenzer Festspiele, vertrauten auf die Ideen des argentinischen Komponisten Fabián Panisello, der mit der Neuen Oper Wien bereits „Le Malentendu“ umsetzte, sowie auf ein Aufführungskonzept, das Carmen C. Kruse entwickelte.

Die österreichische Regisseurin legt den Fokus auf die Mythenbildung rund um den Einsatz von Okichi, die laut Überlieferung bzw. bei Yamamoto Yūzō in der Folge säuft, verarmt und der Nachwelt als Projektionsfläche dient. 

Kraft, die die Kunst verleiht

Die unterschiedlichen Zeitebenen auszuklammern, stellt sich weder für die Regie, noch für die Ausstatterin Susanne Brendel als Problem dar. Die Kostüme sind mehr oder weniger heutig und oft genderneutral, ein großer Spiegel über der leeren Spielfläche lässt die Bewegungen der Personen aus zwei Perspektiven betrachten, ab und zu dient er als Videowand, auf der Bilder von menschlicher Haut eine Intimität erzeugen ohne dass dieser Effekt zu platt gerät. Am Ende nutzt Kruse diese Möglichkeit zur Betonung ihrer Sicht der Dinge. Die ausgestoßene Okichi zeichnet ihr Porträt, gewinnt durch die künstlerische Betätigung wieder an Kraft und bestimmt selbst wie sie gesehen werden will.

In Verbindung mit einer Bewegungsregie des Ensembles, in die Gesten des Protestes eingebaut sind, die an die Geschichte des Kampfes von Frauen gegen Gewalt und für Gleichberechtigung denken lassen, geschieht nicht zu viel des Plakativen. Der rasche Wechsel der Szenen mit den Kommentierenden und den Handelnden, die zum Teil von den selben Sängerdarstellern verkörpert werden und eine Komposition, die vorsieht, dass einzelne Instrumentalisten immer wieder mit den Sängerinnen und Sängern in den Dialog treten, hält hellwach.

Mit Streichern, einer E-Gitarre, viel Schlagwerk, Saxophon, Electronic und einer imposanten Bläserbesetzung erreicht Fabián Panisello ein Klangbild auf dessen erkennbare Schichtungen Walter Kobéra mit dem amadeus ensemble wien gewinnbringenden Wert legt. Die Zuordnung der jeweiligen Instrumente zu den Protagonisten bleibt möglich, wird aber packend variiert ohne die Narration ins Stocken zu bringen. 

Angesichts von Sprechpassagen, die sehr rasch in Gesang bis zum Ausreizen des jeweiligen Stimmumfangs übergehen, sind die zusätzlichen Raumklangeffekte verzichtbar. Sie stören allerdings nicht, laufen sie der enormen Ausdrucksskala der Solisten sowie des Wiener Kammerchores doch nie den Rang ab. Mit präziser Rollengestaltung und wie ein kleines Kraftwerk zog Anna Davidson (Okichi) in Bregenz die Aufmerksamkeit auf sich. Schön, dass die Musik mit tönendem Herzschlag ihr Ende offen lässt.

Die Kombination einer ostentativen Botschaft in der Handlung mit einer komplexen Komposition ergab jedenfalls neues Musiktheater, das „Die Judith von Shimoda“ sozusagen rehabilitiert.

Christa Dietrich

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