Äußerst aufschlussreich und wie ein weiteres Werk der Ausstellung: KUB-Katalogbuch zu Anna Boghiguian

Äußerst aufschlussreich und wie ein weiteres Werk der Ausstellung: KUB-Katalogbuch zu Anna Boghiguian

Das Kunsthaus Bregenz ist nicht die einzige Institution, die dann mit einem Katalogbuch aufwartet, wenn die Ausstellung, die die Publikation dokumentiert, bereits beendet wurde. Der Zeitpunkt der Präsentation sollte somit kein Problem sein. Das Buch zu den Arbeiten von Anna Boghiguian, die die Künstlerin (geb. 1946 in Kairo) für das Kunsthaus bereits im Rahmen der Biennale Venedig im Frühjahr 2022 und schließlich im größeren Umfang im Bregenz schuf, entspricht ob der Gestaltung außerdem einem zusätzlichen Projekt. Zahlreiche Abbildungen der Installation „The Chess Game“, die Wiedergabe der Zeichnungen, die es zu sehen gab, sowie handschriftlich verfasste Bemerkungen und ein Interview mit KUB-Direktor Thomas D. Trummer: „Anna Boghiguian Period of Change“ heißt es auf dem Cover, geschrieben mit dem Pinsel. Vermutlich bleibt das Buch nicht nur bei mir aufgeschlagen, obwohl der Anblick der Bilder mitunter schmerzt.

Mit ihren Bemerkungen zur Geschichte Europas, die sie einmal mit Zeichnungen festhält und einmal mit lebensgroßen Schablonen von Figuren, die sie unter anderem auf einem überdimensionalen  Schachbrett anordnet, beginnt Anna Boghiguian bei der Französischen Revolution. „Diese Revolution, in der das Staatsoberhaupt entmachtet worden ist, zog wirklich eine veränderte Welt nach sich“, sagt sie.  Marie Antoinette wird bei ihr zu einer „widersprüchlichen Figur“. Die Tochter von Österreichs Regentin Maria Theresia, die mit Louis XVI. vermählt wurde, um die Beziehung zwischen den Habsburgern und den Bourbonen zu beschwichtigen, interessierte sich für den Aufklärer Jean-Jacques Rousseau und war dennoch eine Protagonistin des Ancien Régime. Mit „großer Würde“, wie sie auch Stefan Zweig beschrieb, schritt sie zur Guillotine.

Ungeheuerliche Vertuschung von Verbrechen

Zweig ist in Anna Boghiguians Schachspiel ebenso vertreten wie etwa Theodor Herzl, Sigmund Freud, Egon Schiele, Franz Ferdinand, Felix Salten und Bertha von Suttner.  Die Personen, ihr Werk, das, was sie vertreten, ihre Taten und ihre Verbrechen beschäftigen, lassen Bilder entstehen. Es sind solche, wie wir sie auch in den Zeichnungen von Anna Boghiguian finden. Sie wirken wie Filmstills, in deren Rahmen ein Mann sowie die ungeheuerliche Vertuschung von Verbrechen in den Fokus rückt. Aribert Heim, der aus Österreich stammende Mediziner, ermordete als Lagerarzt im KZ-Mauthausen Hunderte Menschen bei grausamen Experimenten, verursachte unermessliche Qualen mit willkürlichen Organentnahmen, Operationen ohne Narkose und Giftinjektionen.

Boghiguian hat seine Geschichte akribisch nachverfolgt. Erst in den 1960er-Jahren begannen die Behörden aufgrund von Berichten von KZ-Überlebenden nach dem Mann zu suchen, der nach dem Ende der NS-Diktatur in Baden-Baden als angesehener Arzt tätig war und in großbürgerlichem Ambiente lebte. Mit Hilfe des deutschen Anwalts Fritz Steinacker konnte er untertauchen und nach Ägypten fliehen. Er lebte von den Mieteinnahmen eines Hauses in Berlin, die ihm von der Familie überwiesen wurden. Boghiguian: „Der jüngere der beiden Söhne von Aribert Heim besuchte seinen Vater regelmäßig in Kairo. Sie trafen sich im Café Ibis des Nile-Hilton-Hotels. Die ganze Geschichte dieses Mannes ist recht bizarr: Er verschwand einfach eines Tages, lebte drei Jahrzehnte lang in Kairo, ohne dass irgendjemand Verdacht schöpfte. Und erst 2009, siebzehn Jahre nach seinem mutmaßlichen Tod, kam alles ans Licht.“

Das Katalogbuch zur Ausstellung von Anna Boghiguian im Kunsthaus Bregenz ist für das internationale Publikum in englischer Sprache abgefasst. Es ist gut, wenn es diese Publikation erreicht. Im kleingedruckten Teil finden die Leserinnen und Leser die Übersetzung des Textes ins Deutsche.

Christa Dietrich

Kommentare sind geschlossen.