Beginn 1994 im Magazin 4, Fortsetzung im Kunsthaus: Zum aktuellen Projekt von VALIE EXPORT in Bregenz
„Ich habe die Packungen oft in der Hand gehabt und festgestellt, dass es genau das Objekt ist, mit dem ich meinen Namen transportieren kann.“ Die Zigarettenschachteln, von denen VALIE EXPORT anlässlich ihrer Ausstellung im Jahr 2011 im Kunsthaus Bregenz sprach, waren jene der österreichischen Marke Smart Export. Die Künstlerin ersetzte das Wort Smart mit der Abkürzung ihres Vornamens, überklebte das dazugehörende Bild einer mit den Worten „semper et ubique immer und überall“ umkränzten Weltkugel mit ihrem Porträt, ließ den Begriff Made in Austria stehen und legte fest, dass ihr Name von nun an in Versalien zu schreiben ist. Das war in den 1960er-Jahren. Die Packung befindet sich im Museum of Modern Art in New York. Als VALIE EXPORT für das Kunsthaus Bregenz vor rund zwölf Jahren erstmals ihr Archiv öffnete, war neben zahlreichen Originaldokumenten und Gegenständen, die bei Performances zum Einsatz kamen, davon ein Foto präsent. Die Ausstellung des KUB, die unter dem damaligen Direktor Yilmaz Dziewior und dem Chefkurator Rudolf Sagmeister zustande kam, stieß auf enormes Publikumsinteresse. Angesichts der Installation „Fragmente einer Berührung“ erinnerten sich zudem wohl einige der vielen Besucher an die Anfangsjahre im Magazin 4. Dort hatte VALIE EXPORT bereits im Jahr 1994 die assoziationsreiche Installation mit zylindrischen, mit Milch, Wasser und Altöl gefüllten Gläsern realisiert, in die über eine Hubvorrichtung Glühlampen getaucht wurden.
Das KUB wurde im Jahr 1997 eröffnet, das Magazin 4 verlor später auch aufgrund kulturpolitischer Fehlentscheidungen an Glanz, den es sich unter Judith Reichart, der Leiterin des Bregenzer Kulturservice (die damals als Kuratorin tätig war), nun aber wieder zurückerobert.
Grundstein für das VALIE EXPORT Center in Linz
Zu den Preisen, mit denen VALIE EXPORT in den letzten Jahren bedacht wurde, zählt das Große Silberne Ehrenzeichen mit dem Stern für Verdienste um die Republik Österreich, der Max Beckmann-Preis und der Roswitha Haftmann-Preis. Im Jahr 2017 wurde in Linz das VALIE EXPORT Center eröffnet, dessen Grundstein ihr in Bregenz erstmals zu sehendes Archiv bildet.
Die aktuelle Arbeit von VALIE EXPORT im Kunsthaus Bregenz basiert somit auf einer Beziehung zur Künstlerin, die vor Jahren aufgebaut wurde. Sie ist inhaltlich ungemein vielschichtig, aber auch aus einer spontanen Idee entstanden. Die Künstlerin erhielt schon vor Jahren den Auftrag, für die neue Orgel in der Marienwallfahrtskirche am Pöstlingberg in ihrer Heimatstadt Linz gestalterische Elemente zu entwerfen. Ihren als Schriftzug verwendeten Satz „Wer begreift, hat Flügel“ will sie hier auch in Bezug auf die grundsätzliche Stärke von Frauen verstanden wissen, die in der katholischen Kirche ansonsten kaum präsent sind.
Song von Charles Mingus von Peter Madsen neu arrangiert
Die ausrangierten Orgelpfeifen vom Pöstlingberg hat sie übernommen. Sie bilden nun einen Teil jener Tonskulptur in Kunsthaus Bregenz, für die der in Vorarlberg lebende Jazzmusiker Peter Madsen mit Kollegen – darunter George Nussbaumer – den Song „Oh Lord, don’t let them drop that atomic bomb on me“ von Charles Mingus neu arrangierte und aufnahm. Er entstand 1961 unter dem Einfluss des Vietnamkrieges, in dem sich die Sowjetunion und die USA als Weltmächte gegenüberstanden.
Von der Decke hängende Orgelpfeifen, hölzerne Pfeifen, die zu einem Wandbild arrangiert sind und Pfeifen, die wie ein Geschütz angeordnet sind, bilden das Setting im Kunsthaus. Die Installation und die Musik vermögen zu berühren, erlauben Momente der Kontemplation, fordern das konzentrierte Hören auf die Singstimme und den Klang der Pfeifen. Die Gefahr des Einsatzes nuklearer Waffen hat sich angesichts des Angriffskrieges Russlands in der Ukraine erhöht. Es ist die Komplexität, die den Wert dieser Arbeit von VALIE EXPORT ausmacht, die im Kunsthaus den vom Lied „Oh Lord, don’t let them drop that atomic bomb on me“ entliehenen Titel erhielt. So steht nicht der Vergleich der weltpolitischen Ereignisse damals und heute im Fokus, alle Aspekte – die Herkunft der Orgel, die Entstehung des Liedes sowie das neue Arrangement, die skulpturalen, die optischen und die akustischen Elemente – ergeben ein anregendes Geflecht. Mit den ergänzenden Bildern an den Billboards entlang der Bahnhofstraße, die die Musiker bei der Arbeit zeigen, hat Bregenz bis 10. April ein einzigartiges Kunstprojekt zu bieten.
Christa Dietrich