Mit „Wunsch und Widerstand“ unterstreicht das Vorarlberger Landestheater seine Kompetenz im Aufgreifen historischer und gesellschaftspolitischer Themen

Mit „Wunsch und Widerstand“ unterstreicht das Vorarlberger Landestheater seine Kompetenz im Aufgreifen historischer und gesellschaftspolitischer Themen

Die Konfabulation ist ein zentraler Aspekt in den Äußerungen von Max Riccabona (1915-1997). Thomas Arzt greift als Autor des Stücks „Wunsch und Widerstand“ erfundene Begebenheiten des Vorarlberger Juristen, Schriftstellers, bildenden Künstlers und KZ-Überlebenden mit einigem Esprit auf. Die Ermöglichung von fatalen Ausschlusspraktiken ist als wesentliches gesellschaftspolitisches Thema in dieser „Überlebensgeschichte“ (so der Untertitel) hingegen schwächer beleuchtet, Stefan Otteni bessert als Regisseur der Uraufführung am Vorarlberger Landestheater diesbezüglich jedoch nach.

Entsprechend ihres Engagements, landesgeschichtliche Themen aufzugreifen, widmete sich Intendantin Stephanie Gräve bereits vor drei Jahren Stephanie Hollenstein (1886-1944). Ausreichend Material zur Lustenauer Malerin, zu ihrer Begabung, ihrer in der Region lange unbeachteten NSDAP-Mitgliedschaft sowie ihrer lesbischen Lebensweise stand Thomas Arzt für diesen Stückauftrag zur Verfügung. Dabei stark in einer dramatischen Biografie verhaftet zu bleiben, tat der Produktion allerdings nicht gut. 

Beim Auftrag, ein Werk zu Max Riccabona zu verfassen, hat sich der oberösterreichische Autor nun weit stärker von einer Doku entfernt. 

Das lag vermutlich nicht nur daran, dass die gesicherten und aufgearbeiteten Quellen dürftiger sind, das Thema aber komplexer ist. So wie man sich in einer vor einigen Jahren realisierten Ausstellung mit Titel „Der Fall Riccabona“ im Vorarlberg Museum neben der Vertiefung in die Zeit des Austrofaschismus und der Nazidiktatur sowie den Verdrängungsmechanismen nach 1945 der Person Max Riccabona auch als Kunstfigur näherte, greift Arzt das Spiel mit Fakten auf. Er schafft Theater. Dabei weitgehend zu klären, was Realität bzw. was gesichert und was Fiktion ist, macht „Wunsch und Widerstand“ zu einem besonderen Beispiel im Bemühen, „den Spalt zwischen historischer Schärfe und literarischer Verdichtung“ (wie es Arzt selbst nennt) erkennbar, aber nicht zu groß werden zu lassen. 

Kein Original

„Ich bin kein Original“, betont Max Riccabona einmal in diesem Stück. Den mit belehrendem Impetus eingestreuten Hinweis auf die oberflächliche Betrachtung einer Persönlichkeit der österreichischen Kunstszene, die nur Unwissenden passiert und deshalb keiner Korrektur mehr bedarf, ist Thomas Arzt noch nachzusehen. Schwer verdaulich und deplatziert wirken im Rahmen seiner sonst durchaus subtilen Herangehensweise seine holzschnittartige Darstellung eines Feldkircher Bürgertums, das sich das Maul zerreißt über die „Prasserei“ im Haus Riccabona und Perlhefter, die Einführung der D-Mark herbeisehnt und schon vor dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 seinen Antisemitismus offen zur Schau trägt. Regisseur Stefan Otteni behilft sich, indem er diese Figuren stark in Richtung Karikatur rückt und einen unreflektierten Patriotismus mit dem Absingen eines Volksliedes zum Ausdruck bringt. 

Allgemein übertragbare Mechanismen 

Der Wert der Beachtung lokalgeschichtlicher Vorkommnisse, mit der das Landestheater einer seiner Aufgaben in hervorragender Weise nachkommt, tritt in den allgemein übertragbaren Mechanismen zu Tage, die sich in der Konstellation und in den Tragödien von österreichischen Familien zeigen. Der Anwalt Gottfried Riccabona, von der politischen Gesinnung her ein Deutschnationaler, ehelichte die aus einer jüdischen Handelsfamilie stammende, katholisch konvertierte Anna Perlhefter, Johann Rhomberg wird eine Art Teilhaber des Textilunternehmens, das nach dem Anschluss seinen Namen, den eines Mitläufers, trägt. 

„Wir öffnen die Tür und hinten raus die Fenster und lassen den Wind der Zeit einfach durchwehen“, beschließt Gottfried Riccabona mit der Geste des Patriarchen, als der er meint, die menschenverachtende Ideologie seiner Partei sowie die erwähnten Ausschlusspraktiken von der eigenen Familie fernhalten zu können. Eitelkeit, Aggression und eine Spur von Realitätsverweigerung vermischen sich im Auftreten von Julian Sark. Als Anna Perlhefter bzw. Riccabona tariert Silke Buchholz Hellsichtigkeit und Empathie gut aus. Die enorme Flexibilität von Maria Lisa Huber und Nurettin Kalfa als Dora (Schwester von Max Riccabona),  Barkeeper, Therapeut, Anwalt, Nazi-Bürgermeister, Erzähler etc. ermöglicht schnelle Szenenwechsel, für die Ausstatter Matthias Strahm die Drehbühne mit ein paar Requisiten, den Schnürboden und den Projektor für Stadtansichten aktiviert.

Nadelstichartig

So bleibt Raum für Gottfrieds Sohn Max, dem Juristen, Schriftsteller und KZ-Überlebenden, Raum für das Hinauswachsen der Fantasie über die Grausamkeit. An einer Bar auf der Vorbühne verflechtet Dietmar Pröll die Erzählung vom Erlebten mit jener Konfabulation (etwa einer Begegnung mit James Joyce), die die Kunstfigur Max Riccabona ausmacht. Dabei gelingt es dem Schauspieler die unkonventionelle Direktheit mit Schmerz, Witz und einem Keim von Sturheit so einzufärben, dass ihr nichts Pathetisches anhaftet. Die Stärke der Inszenierung zeigt sich im Besonderen durch das jeweils kurze Einflechten von traumatisierenden Geschehnissen im KZ und die Handhabung der Folgen auf die psychische Verfasstheit von Max Riccabona, der den Beruf als Juristen in den 1960er-Jahren aufgab. Die Tragik wird nicht breitgetreten, sie taucht nadelstichartig auf. Gut unterstrichen übrigens vom Musiker Oliver Rath

Energie und Verzweiflung zeigt sich im Spiel von Luzian Hirzel als jüngerer Max. 

Seine definitive Rolle im Widerstand gegen das Naziregime zu erkunden, überlässt Thomas Arzt den Historikern. Fakt ist die mehrjährige Inhaftierung im KZ Dachau, wo er als politischer Häftling dem Arzt Sigmund Rascher zugeordnet war, der grausame Versuche an Menschen durchführte. Er sei „von der Schaufel des Krematoriumsofen heruntergefallen“, lässt Arzt aus dem Buch „Auf dem Nebengeleise“ zitieren. 

Weitere schriftstellerische Arbeiten scheinen nur leicht durch, wenn Riccabona am Ende münchhausengleich ins All startet. Das Einfließen der Tatsache, wie rasch Menschen den Entzug des Lebensrechtes von Mitbürgern tolerieren, rückt über die Inszenierung von „Wunsch und Widerstand“ hingegen eindringlich in den Fokus. 

Dieser Aspekt lässt den Schluss zu, dass das Stück nicht nur als jenes mit nur einer Umsetzung im Werkverzeichnis von Thomas Arzt verbleibt.

Die eindrücklichste literarische Verdichtung einer Biografie aus der Vorarlberger Geschichte gelang allerdings Maximilian Lang mit „Sprich nur ein Wort“. Er bezog sich auf den Dichter und Sozialreformer Franz Michael Felder (1839-1969) und auch das war ein Auftragswerk des Vorarlberger Landestheaters.

Christa Dietrich

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