“Hilfe kommt aus Bregenz”: Die Kafka-Produktion am Vorarlberger Landestheater unterstreicht es

“Hilfe kommt aus Bregenz”: Die Kafka-Produktion am Vorarlberger Landestheater unterstreicht es

Wer das Adjektiv kafkaesk verwendet, beschreibt damit im Allgemeinen etwas Bedrohliches, meist etwas Mächtiges, das nicht leicht zu ergründen ist. Sollte es optisch verdeutlicht werden, wäre es farblos sowie schwarz oder grau. Das Farbige und Schillernde im Werk des Schriftstellers Franz Kafka (1883-1924) zu unterstreichen, ist das besondere Anliegen der neuen Koproduktion des TOBS (Theater Orchester Biel Solothurn) mit dem Vorarlberger Landestheater. Die erste im Herbst 2021 mit „All you can be! Eurydike und Orpheus“ präsentierte Zusammenarbeit ist noch bestens in Erinnerung, eine zweite anzubieten, hatte sich das Publikum damals quasi per Applausorkan gewünscht. Intendantin Stephanie Gräve ließ sich nicht lange bitten und trifft mit der Produktion „Kafka in Farbe“ vollends ins Schwarze, äh, Bunte.

Zu Kafka ins Bett geschlüpft

Das mag etwas heißen, denn dass Kafka, der dunkel mit oder ohne Melone, aber immer ernst dreinschauend Porträtierte, viel Farbe verträgt, ist für Theaterfreunde wenig und in Vorarlberg nicht überraschend. „Hilfe kommt aus Bregenz“, ein Satz, den Kafka einem Arzt in den Mund legte, wird gerne zitiert und landete jüngst auch groß auf einem Bauzaun. Wer sich in Kafkas Werk sowie in den Tagebüchern oder Briefen ein wenig auskennt, schmunzelt wenn ihm die Vorarlberger Schriftstellerin Ulrike Längle in ihrem Band „Am Marterpfahl der Irokesen“ Hilfe aus Bregenz in der Person einer Anna Dorn zukommen lässt, die flugs zu ihm unter die Bettdecke schlüpft.

Womöglich hat der Regisseur und Schauspieler Max Merker jene Szene gekannt. Die Ästhetik, die er nun in „Kafka in Farbe“ anwendet, lässt sich aber auch als Zuspitzung jener lesen, die vor Jahren in seiner Kafka-Inszenierung in Marburg zur Anwendung kam. Die Bühne dominiert jedenfalls ein großes Bett, in dem die Akteurinnen und Akteure in derart rascher Abfolge verschwinden, ab- und wieder auftauchen, dass der Tür-auf-Tür-zu-Mechanismus herkömmlicher Komödien mehr als nur überboten wird. Es ist der Slapstick und die Musik der 1920er-Jahre, die man aufleben lässt. Das passt in die Zeit. Kafka liegt im Totenbett (in seiner Biografie ist das 1924 im österreichischen Kierling), Figuren aus dem Leben und dem Werk („Der Prozess“, „Die Verwandlung“, „Der Bau“ etc.) schleichen sich ins Zimmer. Und mit ihnen eine Poesie und eine Komik, die immens gut tut. Gut, weil sie sich aus der Klugheit und Schlagfertigkeit speist, die in Kafkas Sprache zum Ausdruck kommt und dabei nie den Anspruch erhebt, sich in die Deutung des Werks verstiegen zu haben. 

Eintauchen

Was hat man davon? Mit ihrem schauspielerischen Einsatz, der körperlich bis zur Verausgabung reicht, bieten Aaron Hitz, Max Merker, Janna Mohr und Milva Stark 80 Minuten, die in der Tat einem Eintauchen in jenen Bereich entspricht, in der Literatur entsteht, einem Eintauchen bis an die Grenze des Wahrscheinlichen, das Kafka unternahm. Dabei nie Pathos aufkeimen zu lassen, sondern stets auf der Tonleiter der Ironie zu bleiben, zählt zur großen Leistung. Die Bühne (entworfen von Martin Dolnik) schräg zu stellen und im Spiel nie in dieses banal Schräge abzudriften, lässt wünschen, dass sich „Kafka in Farbe“ von TOBS und dem Vorarlberger Landestheater noch länger in den Spielplänen hält.

Literaturvermittler, Verlage, Filmemacher und Theaterunternehmen bereiten bereits Programme zum 100. Todestag von Franz Kafka im Jahr 2024 vor. Die Biografie von Reiner Stach wird dabei zur Sprache kommen. Max Merker dürfte sie kennen.   

Christa Dietrich

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