Gut, dass “Gier” von Sarah Kane in der Fassung und Inszenierung von Bella Angora wieder in Bregenz auf dem Spielplan steht
Aufführungen von Werken der britischen Autorin Sarah Kane (1971-1999) zählen zu jenen, die mir auch nach Hunderten von Theaterabenden gut im Gedächtnis bleiben werden. Am Intensivsten war dabei die Begegnung mit “Gesäubert” in der radikalen Inszenierung von Peter Zadek 1998 an den Kammerspielen in Hamburg. Dazu gehört aber auch „Gier“ in jener Produktion des Vorarlberger Landestheaters, die im November letzten Jahres präsentiert wurde und nun am 27., 28. und 30. März wieder in Bregenz auf dem Spielplan steht.
Meinen Bericht von der Premiere erhielt die Austria Presse Agentur. Hier ein Abschnitt daraus:
Dass Bella Angora diesem Werk nahe steht, ist jedem klar, der einige der Performances kennt, für die sie bislang die Texte ausschließlich selbst schuf. Verletzungen, traumatisierende Erlebnisse, die umfangreichen Auswirkungen von schmerzvollen Erfahrungen im Kleinen, Manipulationen in den Beziehungen sowie die Sehnsucht nach Heilung und Liebe sind als spezifische Themen von Sarah Kane auch in früheren Texten der Vorarlberger Performancekünstlerin erkennbar. Wenn auch in vergleichsweise stark abstrahierter Form. Wobei zu „Gier“ (im englischen Original: „Crave“) zu bemerken ist, dass die Obsession oder das Abgründige in den Beziehungen zwischen Menschen hier bei Weitem nicht derart radikal und exzessiv formuliert werden wie in „Zerbombt“ oder „Gesäubert“. In „Gier“, dem Text, der vor dem letzten Werk mit entsprechendem Titel „4.48 Psychose“ erschien, sind die schmerzverursachenden Vorkommnisse nicht nur vielfältig, sie sind angedeutet wie die Schuldigen und wie ein Prozess, der zu einer Heilung führen könnte.
Das ausgesprochen Gute an dieser Inszenierung ist, dass Bella Angora daran nicht rührt, dies so belässt, nichts eigens betont und dabei keine Ausdünnung der Themen verursacht, sondern auf die Stärke des Textes oder oft nur vernehmbarer Textfetzen vertraut: „Ich schreibe die Wahrheit und es bringt mich um.“ Sie lässt sie frei von Pathos, emotional unaufgeladen, aber dennoch nicht monochrom zitieren. Ob in den aufgenommenen Einblendungen oder real auf der Bühne.
Es braucht viel Performanceerfahrung für diese Ästhetik und ein Ensemble mit Vivienne Causemann, Luzian Hirzel, Nico Raschner und Ines Schiller, das sich auf dieses Betreten von Schauspielerneuland einlässt.
Mit entsprechendem Ergebnis, wie der Applaus und die stehenden Ovationen des die große Bühne des Landestheaters umkränzend platzierten Premierenpublikums verdeutlichten.
Als nach dem Muster Laufen gelernter Bilder von der Videokünstlerin Sarah Mistura geschaffene Projektionen auf einer Box erscheinen zu Beginn die vier nicht näher definierten und im Text lediglich mit den Buchstaben A, C, M und B versehenen Figuren. Die Texte sind eingeblendet bevor sich die Box öffnet, aus der Bella Angora die versteinert scheinenden Körper schiebt. Auch wenn sich die Personen dann sprechend aus ihren Cocoons lösen, sind Dialogsituationen eliminiert und Interaktionen nicht als Annäherungen, sondern als Rituale wahrnehmbar. Ähnlich wie die Musik von Daniel Pabst und Oliver Stotz, bei der einmal kurz Paul Young hereinweht, dient ein gemeinsamer Tanz mit Seilen der nicht weiter intendierten Assoziation in den Köpfen der Zuschauer und der Gewährleistung des kontinuierlichen Tempos, das sich Bella Angora präzise zurechtgelegt hat.
So funktioniert das Metier, aus dem sie kommt und bei zwar bildreicher, aber kompromissloser Umsetzung verkommt die Aufführung in keinem Moment zu einem Stück, dem ein Konzept übergestülpt wurde. „Gier“ ist am Vorarlberger Landestheater voller kräftiger Reize und dabei eine leise, helle wie dunkle, poetische, aber wunderschön unsentimentale literarische Performance zum existenziellen Thema Liebe und der Sehnsucht danach.
Bild: Landestheater/Anja Köhler