“Escorial” im Theater Kosmos

“Escorial” im Theater Kosmos

Eine Bühne, die Ur- und Erstaufführungen fokussiert, spielt ein Stück von Michel de Ghelderode? Was wie ein Blick zurück in die Theaterästhetik in der Mitte des 20. Jahrhunderts wirkt, erweist sich als konsequent. Vor vier Jahren kam im Bregenzer Theater Kosmos „König Ubu“ von Alfred Jarry auf das Programm, in dessen Tradition Ghelderode (1898-1962) steht, der – im deutschsprachigen Raum fast vergessen -, das absurde Theater von Jean Genet, Samuel Beckett oder Eugène Ionceso ergänzt. Musiktheaterfreunde wissen, dass seine „Balade du Grand Macabre“ den Stoff für das Libretto für György Ligetis 1978 uraufgeführter Oper „Le Gande Macabre“ lieferte. Dass auch „Escorial“ Komponistinnen und Komponisten, Choreografinnen und Choreografen zu inspirieren vermag, zeigt sich mitunter auf belgischen wie spanischen Bühnen. Das Theater Kosmos bietet dem Publikum mit seiner neuen Produktion jedenfalls eine Wiederentdeckung, die erfreulicherweise nichts von dem atmet, was sich an jüngeren Aufführungen des Stücks recherchieren lässt. Augustin Jagg inszeniert keine märchenhafte Posse, die kurze Auseinandersetzung eines Königs mit seinem Hofnarren und einem Mönch, der zugleich ein Henker ist, erweist sich als bitterböses Stück, hat so viel surreale Elemente, dass das Hässliche nie banal werden kann, ertränkt die Liebe nicht im Zynismus, den Michel de Ghelderode so wortreich wirken lässt und legt in vielen Momenten jenen Mechanismus offen, an dem die Welt krankt. Immer wieder und überall gibt es jemanden, der seine Macht gegenüber einem anderen erbärmlich ausspielt.

Der Ire Samuel Beckett hat ihn seziert und Weltliteratur geschaffen, der Belgier Michel de Ghelderode ist offenbar zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen und starb ohne die Fähigkeiten ausgebaut zu haben. „Escorial“ nun anzubieten, ist somit mehrfach bedeutsam. Die Überlappung von Geschichte und Gegenwart offenbart sich auch ohne deutliche Visualisierung. 

Stefan Pfeistlinger ließ Holzpaletten mit viel Patina übereinanderstapeln und die Kostüme von Nicole Wehinger sind vergilbt. Eine fast logische, wenig überraschende Idee wird vielschichtig, wenn im Hintergrund – in der Videoproduktion von Sarah Mistura mit der Tänzerin Silvia Salzmann – das Sterben der Königin als schönes Hinweggleiten aufscheint und Haymon M. Buttinger zum wummernden Sound von Herwig Hammerl als alternder Rockstar ins Escorial lädt. Philipp II., ein Habsburger, hat den Palast als Symbol seines Herrschaftsanspruchs errichten lassen.

Das Stück reicht nicht so weit, die Allianz mit der katholischen Kirche aufzuzeigen und dennoch gelingt es der Inszenierung diesen Aspekt in der Figur des Mönchs bzw. im nonchalant teuflischen Spiel von Haymon M. Buttinger durchdringen zu lassen.

Vieles herauskristallisiert

Die sich während des Rollentausches des Königs mit seinem Spaßmacher entlarvende Liebe dieses Narren zur Königin, ist das Sujet der Posse, Demütigungen sowie ein Ringen um Respekt sind jene des Stücks, die die Inszenierung herauskristallisiert. Das Spiel von Bernd Sracnik (König) und Nurettin Kalfa (Narr) lässt erschaudern, gelingt es doch, das Kippen ins Plakative jeweils rasch aufzufangen. Kein Theatereffekt braucht bemüht zu werden, nur zwei Schauspieler stehen auf der Bühne. Sogar auf stabilem Boden, doch nichts scheint sicher. Prägnant!

Christa Dietrich

Weitere Aufführungen des Stücks am 9. und 10. Dezember im Theater Kosmos in Bregenz.

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