Eine faszinierende Begegnung mit Künstlerinnen und Künstlern oder Was das Theater Mutante auszeichnet
Gut, dass ich nach meinem Auftrag für die Austria Presse Agentur über die Uraufführung von „Aus seinem Leben“ von Felix Mitterer am Vorarlberger Landestheater zu berichten, der sich damit dem Dichter, Sozialreformer, Bauern und Rebellen Franz Michael Felder (1839-1869) widmete, noch ein paar Tage im Land geblieben bin. Nachdem das Vorarlberger Landestheater schon im Jänner 2023 und somit Monate bevor sich viele Institutionen Franz Kafka, dem im Juni 1924 (also heuer vor hundert Jahren) verstorbenen Dichter widmeten, mit der Produktion „Kafka in Farbe“ auf überaus faszinierende Art auf dessen komische Seite verwies, nachdem das Bregenzer Theater Kosmos über Kafka, Kant und Kraus referieren ließ, macht sich nun eine junge Gruppierung mit Kafka sichtbar.
Es ist eine der kleinen Bühnen des Landes, aber es ist eine bemerkenswerte – das Theater Mutante. Künstlerinnen und Künstler aus dem Bereich Schauspiel, Musik, bildende Kunst, Tanz sowie Literatur (Andreas Jähnert, Lisa Perner, Anna-Amanda Steurer, Sascha Jähnert, Natalie Fend, Arno Waschk, Mathias Müller, Michael Salvadori, Julius Kasimir und Elke Maria Riedmann) sind die Protagonisten einer Veranstaltungsreihe mit Theaterprojekten, Performances, Filmaufführungen, Workshops und Podiumsdiskussionen in der Festhalle in Lochau. Eine solche findet erneut am 26. September statt. Es diskutieren u. a. der Psychiater Albert Lingg, der Sozialwissenschaftler Fabian Andreas Rebitzer, die Rechtswissenschaftlerin Maria Sagmeister und die Psychotherapeutin Jutta Waltl.
Am 25. sowie am 27. September besteht erneut die Möglichkeit, eine Produktion zu sehen, die dieses Theater im Besonderen auszeichnet. Hier erarbeiten und realisieren Künstlerinnen und Künstler nicht nur interessante Veranstaltungskonzepte, hier werden auch Text- und Kompositionsaufträge vergeben. Auch angesichts der begrenzten Möglichkeiten von Gruppierungen, die der grundsätzlich unterfinanzierten freien Szene in Vorarlberg zuzuordnen sind, ist das eigens hervorzuheben. Im Jahr 2023 wurde der Bludenzer Autor Mathias Müller mit dem Literaturpreis des Landes Vorarlberg ausgezeichnet. Die Jury war von seinem „experimenteller“ Text „Die Bühne wächst“ angetan und befand, dass er sich „gegen jede Hierarchie“ richtet. Der Schauspieler, Regisseur und Theaterleiter Andreas Jähnert beauftragte den in Wien arbeitenden und lebenden Autor und Literaturwissenschaftler mit einem Text für sein Projekt Mutante. „Die Fluten kamen nie zurück“ zeugt von der Beschäftigung von Mathias Müller mit Franz Kafka. Schon das gewählte Sujet, das „Angeschwemmte“ ist schwer zu definieren, wie es Mathias Müller in seiner Optik, seiner Akustik und seiner Umgebung bzw. seinem Umfeld umfasst, ist eine Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung und mit dem Erfolg oder Misserfolg unseres Tuns, die in ihrer Präzision, in ihrem feinen sprachlichen Ton, aber auch in ihrer künstlerischen Überhöhung fasziniert. Dass die leise performative Umsetzung von Andreas Jähnert noch mit einer feingliedrigen Komposition von Arno Waschk untermalt werden konnte, ließ den Raum vibrieren und erzeugte eine Stimmung höchster Aufmerksamkeit. Der Wunsch nach einer Veröffentlichung des Textes dürfte erfüllbar sein.
Kombiniert wurde die Performance mit einem Film von Michael Salvadori, mit dem der Vorarlberger Künstler – nach eigener Angabe – „seine Entwicklung anhand von 360 Zeichnungen bzw. auf 107 Metern aufzeigt“. Das ist reines Understatement, Salvadori ist ein exzellenter Zeichner, der zwar die Beschäftigung mit Albrecht Dürer, Hieronymus Bosch, M. C. Escher, Magritte, weiteren Surrealisten, Giorgio de Chirico, der Pop Art, den Comics und den Mangas erkennen lässt, der aber zu einer eigenen, dichten Erzählform sowie zu einem eigenen Humor gefunden hat und vor den großen Themen Leben und Vergehen nicht zurückschreckt. Nach den vorbeiziehenden 360 Bildern greift man gerne zum Buch, blättert es nicht durch, sondern bleibt hängen – 360 Mal jeweils vermutlich länger als einen Tag.
Weitere Termine diese Laboratoriums des Theaters Mutante in der Festhalle Lochau: 26. und 28. September – Theater; 25. und 27. September – erwähnte Performance und Film; 26. September – Podiumsdiskussion; 27.September – Workshop mit Clownfrau Elke Maria Riedmann etc. www.theatermutante.com
Christa Dietrich
Im Bild sind Michael Salvadori, Andreas Jähnert und Arno Waschk, aufgenommen wurde es nach der Aufführung der Performance mit dem Text von Mathias Müller und des Films mit den Zeichnungen von Michael Salvadori.