„Die Präsidentinnen“ bei Wagabunt und Unpop: Gute Wahl, gute Besetzung
Die Jüngeren können nun im Dornbirner TiK miterleben, welch radikale Erneuerung das Volkstheater in den frühen 1990er-Jahren durch den Grazer Autor Werner Schwab erfuhr, für die Älteren ist die Produktion mit Erinnerungen an Initiativen verbunden, die zu dieser Zeit zur lebendigen Theaterszene in Vorarlberg führten.
Wenige Jahre nach der Uraufführung brachte das Projekttheater – dieses renommiert ausgezeichnete und mittlerweile legendäre Ensemble mit Dietmar Nigsch, Maria Hofstätter, Walter Hiller und später Susanne Lietzow – Schwabs Drama „Die Präsidentinnen“ in die Region. Robert Kahr erweiterte damals den Kindertheatersektor oder erhöhte die Farbigkeit der kleinen Dornbirner Truppe namens Wagabunt und Wolfgang Pevestorf überraschte bald darauf mit toller Stimme am Vorarlberger Landestheater.
Caro Stark und Stephan Kasimir haben beide Schauspieler mit ihrem vor wenigen Jahren gegründeten, verkürzt Unpop genannten „Ensemble für unpopuläre Freizeitgestaltung“ und in Kooperation mit Wagabunt bereits mehrmals erfolgreich zusammengeführt. Dazu zählen etwa die Produktionen von Becketts „Endspiel“ oder „Don Quijote und Sancho Panza“.
Letztere wurde von Kasimir selbst für die Bühne bearbeitet, was jetzt auch für „Die Präsidentinnen“ gilt, wobei sich die Eingriffe als sorgfältige Straffung erweisen und keineswegs als Entschärfung oder Beschneidung von Schwabs Sprache, die ihm in diesem Fall die Genrebezeichnung Fäkaliendrama einbrachte.
Äußerst oberflächlich zwar, aber immer noch in Verwendung, wird damit darauf Bezug genommen, dass Schwab bei seinen messerscharfen Beobachtungen der Mitwelt bildliche Überhöhungen in einer Art schuf, die – beispielgebend für Bosheit, Chauvinismus, religiös verbrämte Heuchelei, Bigotterie, Volkstümelei, Arroganz, Grausamkeit und Dummheit – wie sie bis dahin mehr oder weniger ausgeklammert blieb.
Anders als es in vielen Schwab-Inszenierung der Fall war, braucht Unpop dafür kein schmuddeliges Ambiente. Für Ausstatterin Caro Stark ist die Wohnküche, in der uns Erna, Grete und Mariedl an ihren unterschiedlichen Formen der Selbsterhöhung teilhaben lassen, ein schokoladebraun glänzender Kubus. Andere Assoziationen sind möglich, aber auch die Kostüme sind Alltag, wobei freilich die Fellmütze zu Ernas Kittelschürze nicht fehlen darf, Grete die blonde Rockabilly-Perücke im Gerangel bald einmal verliert und Mariedl im Trainingsanzug so blitzsauber daherkommt wie die Toiletten, die sie als passionierte Abortreinigerin von Verstopfungen befreit. Mit Helga Pedross (bekannt etwa durch Rollen in den Ensembles dieheroldfliri und Walktanztheater) hat Regisseur Stephan Kasimir sein Trio perfekt abgerundet. Mit konsequent ruhigem Anlauf steigert sie sich in die Phantasie der von allen verherrlichten, madonnengleichen Erlöserin. „Die Mariedl machts ohne“ (Kloputzen ohne Gummihandschuhe) wird zur Litanei. Ohne Mariedl gibt es kein Nachkommen eines elementaren Bedürfnisses. Nonchalant vernichtet sie bei ihrem Höhenflug, bei dem sie sich sachte in eine Rachegöttin verwandelt, die Illusionen von Grete und Erna. Schwadroniert die eine doch von einem Freddy, der ihre Lüsternheit goutiert und die andere vom Metzger Wottila (nicht zufällig namensverwandt mit dem polnischen Papst, dessen Segen zu Beginn des Stücks über den kleinen Bildschirm flimmert), durch den sie von der Putzfrau zur Geschäftsfrau aufsteigen könnte. Das zunichte zu machen, ist zu viel: Mariedl wird von Erna und Grete abgemurxt, so kaltblütig und unbarmherzig wie sie in den Jahren zuvor am Unglück der eigenen, missbrauchten und misshandelten Kinder vorbeisahen.
Wolfgang Pevestorf verleiht Erna jenes Maß an Härte und Uneinsichtigkeit, die Schwabs Figuren abstoßend machen, aber immer noch komplex erscheinen lassen. Für Robert Kahr gilt dasselbe, wobei hier ein feiner Humor hinzukommen soll, den er schön einzuflechten versteht.
Was die Kürzungen betrifft, so sind es vor allem die religiösen Aspekte, deren Betonung bzw. Verdoppelung hier nachvollziehbar eliminiert wurden ohne die Wirkung des originären Sprachidiom des Dramatikers zu schwächen.
Die Entlarvung von Bosheit und Heuchelei macht „Die Präsidentinnen“ bei Unpop zu einem Stück der Stunde: Gute Wahl, gute Besetzung!
Darüberhinaus ist zu erwähnen, dass Werner Schwab nun auch wegen seines vor 30 Jahren erfolgten frühen Todes in den Fokus rückt. In wenigen Jahren hatte der nach den „Präsidentinnen“ immens gehypte Grazer Dramatiker ein Stück nach dem anderen geschrieben. Er verstarb knapp 36-jährig in der Neujahrsnacht 1994.
Christa Dietrich
Weitere Aufführungen von „Die Präsidentinnen“ am 7., 14., 21. und 28. Jänner, jeweils 17 Uhr im TiK in Dornbirn.