Strukturen des Patriarchats behindern Entscheidungen angesichts der Klimakatastrophe

Strukturen des Patriarchats behindern Entscheidungen angesichts der Klimakatastrophe

Es ist bezeichnend, dass das Schauspielhaus Zürich nun wieder ein Stück von Sarah Kane ins Programm genommen hat. Angekündigt wird „Gier“ allerdings mit dem Vermerk, dass Schilderungen sexualisierter Gewalt vorkommen. Als ob man es nicht wüsste. Ich erinnere mich an eine von Peter Zadek inszenierte Aufführung des Stücks „Gesäubert“ derselben Autorin vor über 20 Jahren an den Hamburger Kammerspielen, die das Publikum nach und nach verließ, weil die Radikalität der Darstellung, die Kane angesichts sich auflösender Identitäten verlangt, schwer zu ertragen war. Fast zur selben Zeit inszenierte Thomas Ostermeier am Deutschen Theater in Berlin das Stück „Shoppen und Ficken“ von Mark Ravenhill, der junge Menschen zeigt, denen die Elterngeneration so gut wie keine humanen Werte vorgelebt hat. Einer, der mit diesem britischen Theater sozialisiert wurde, ist Mike Bartlett. Er ist mittlerweile nicht nur Dramatiker, sondern auch Drehbuchautor für Film- und Fernsehproduktionen und erreichte mit dem 2010 uraufgeführten Stück „Erdbeben in London“ erstmals größere Bekanntheit. Die deutsche Erstaufführung erfolgte 2011 in Bonn. 

Die österreichischen Bühnen haben zugewartet bis sich nun Stephanie Gräve, Intendantin des Vorarlberger Landestheaters, dazu entschied, das Stück Olivier Keller und Patric Bachmann anzuvertrauen, den baldigen Leitern des Theaters Biel Solothurn, mit dem man bereits einige Koproduktionen realisierte. 

Das Stück verlangt eine Gegenstrategie

Ihre größte Hürde ist, dass die Umweltschutzthematik, die Bartlett hier recht plakativ in der Person eines von der Wirtschaft korrumpierten Wissenschaftlers verhandelt, mittlerweile so allgegenwärtig ist, dass dieser Aspekt des 13 Jahre alten Stückes redundant wirken kann. Die Gegenstrategie der beiden Regisseure kommt allerdings gut zur Wirkung. Hier wird nicht bedeutungsvoll doziert, geklagt und gelitten. Für die unzähligen Kurzszenen hat Tatjana Kautsch ein Karussell in Form einer Mini-Erdkugel mit einer Zusatzfunktion als eine Art Hüpfburg entworfen, die den Figuren eine leichte Sci-Fi-Ästhetik verleiht, die dem Text gut tut.  Verbunden mit Videoeinspielungen von Andreas Bächli für die unterschiedlichen Zeitebenen und Gefühlsregungen kommt die zweite Handlungsebene zur Geltung, die offenbar nur ein Teil des Premierenpublikums – nehmen wir einmal an, das jubelnde – erfasst hat. 

Wer denkt da nicht an Tschechow?

Mit der Sorglosigkeit bzw. Bequemlichkeit der Menschen im Umgang mit den Ressourcen nennt Bartlett Strukturen des Patriarchats als lästige Last. Drei Schwestern – wer denkt da nicht an jene des Klassikers von Tschechow? – sind in ihren Handlungen und Entscheidungen, die angesichts der Zustände unbedingt zu treffen wären,  beeinträchtigt, weil der Egoismus und die Arroganz des Vaters noch nachwirkt. Mittlerweile zum selbstverliebten Zyniker geworden, spielt Rolf Mautz diesen Wissenschaftler Robert bestens mit dem Ausdruck des Abgeklärten. In den unterschiedlichen Temperamenten der drei Töchter (einer Umweltpolitikerin, einer schwangeren Lehrerin und einer Studentin) leuchtet durch das Spiel von Zoe Hutmacher, Maria Lisa Huber und Lina Hoppe Klugheit und immerhin einige Weitsicht auf.

Um nicht ins Manager- oder Warnerklischee abzudriften, lenkt die Regie das weitere Ensemble ins Bizarre, das etwa Nurettin Kalfa und Vivienne Causemann rollengerecht ausreizen und lässt im Übrigen den zentralen allseits bekannten, apokalyptischen Song „In the Year 2525“ von Zager & Evans nicht allzuoft anspielen.

Bartletts Werk fehlt jener Diskurs, der in neuen Stücken, die jetzt auf den deutschen Markt kommen, allerdings fast zu oft und oft ausschließlich bedient wird. „Erdbeben in London“ ist eine betont skurrile Revue über das Versagen angesichts der Herausforderungen unserer Zeit. Doch der Weg zur Bewältigung ist in dieser Version nicht versperrt.

Christa Dietrich

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