Kontinuität und Veränderung: Zu Nikolaus Habjan, Florian Boesch und Franui bzw. deren Interpretation von „Die schöne Müllerin“

Kontinuität und Veränderung: Zu Nikolaus Habjan, Florian Boesch und Franui bzw. deren Interpretation von „Die schöne Müllerin“

Vielleicht liegt die Magie darin, dass die Produktion „Die schöne Müllerin“ Kontinuität und Veränderung gleichermaßen verdeutlicht. Und das in mehrfacher Hinsicht. Die Quadratur des Kreises sozusagen, die den Bregenzer Festspielen mit der Aufnahme der Produktion von Franui, Nikolaus Habjan und Florian Boesch ins Programm gelang und die ihnen ein quasi bis zum letzten Platz besetztes großes Festspielhaus mit Standing Ovations zum Finale bescherte. 

Nikolaus Habjan, den Regisseur, Puppenspieler, Rezitator und – ja – Kunstpfeifer, darf man zum künstlerischen Kernteam von Intendantin Elisabeth Sobotka zählen. Die Moderation der Eröffnungsfeier mit den gekonnt gesetzten politischen Spitzen ist ein Fixpunkt der jeweiligen Festspielsaison. 2016 erfolgte die Uraufführung der „Staatsoperette“ von Otto M. Zykan. Simon Meusburger, der aus Bregenz stammende Leiter der Wiener Schuberttheaters, führte Regie, Nikolaus Habjan hatte die Puppen gebaut. 

Zwei Jahre später kam hier die aufschlussreiche Schauspielproduktion „Böhm“ von Paulus Hochgatterer mit Nikolaus Habjan zur Aufführung.  Im Sommer 2019 bot die Musicbanda Franui ihre Version von Arthur Schnitzlers „Reigen“ und im Pandemiesommer 2020 eröffnete dieses einzigartige Musikensemble gemeinsam mit Florian Boesch und Werken von Schubert, Schumann, Beethoven und Mahler die Festtage. Ein besonderer Trost im Jahr, in dem es wegen der Aufführungsverbote und Publikumsbeschränkungen auf dem Bodensee ruhig blieb. (Die Regierung hatte im Freien nur so viel Besucher zugelassen, dass der Salzburger „Jedermann“ gerade noch stattfinden konnte.)

Mit einem starken Kreisler-Abend kamen Franui und Habjan im Sommer 2021 zurück. Und 2022 schließlich: „Fräulein Else“ mit Franui und in der Reihe Musik & Poesie ein Nikolaus Habjan, der „Fly Ganymed“, die Geschichte von Kindern auf der Flucht von Paulus Hochgatterer, eigens für Bregenz adaptierte. Es war eine so schmerzhafte wie wichtige und berührende Begegnung mit dem Künstler, der in den letzten Jahren – wie Musikfreunde wissen – an großen Häusern Opern inszenierte und bei den Bayreuther Festspielen mit „Das Rheingold – Immer noch Loge“ ein paar wichtige Fragen zur „Ring“-Interpretation stellte.

Kontinuität also. Die Veränderung impliziert bereits die Tatsache, dass es die Musicbanda Franui ist, die „Die schöne Müllerin“ umsetzt. Die Grazer Oper, wo ich diese neue Produktion bereits im Juni gesehen habe, bezeichnete das Projekt als „Musiktheaterabend nach Franz Schubert“, in Bregenz werden folgerichtig noch die 200 Jahre unterstrichen, die zwischen der Komposition Schuberts nach der Gedichtsammlung von Wilhelm Müller und der Interpretation durch Franui liegen. Dass es weit mehr als eine Bearbeitung ist, steht nach dem ersten Lied außer Zweifel. Wir hören nicht Florian Boesch, sondern werden von den Kunstpfeiferqualitäten von Nikolaus Habjan überrascht. Noch bevor uns der samtene Ton des Bassbariton in die Welt des unglücklich verliebten Müllerburschen führt, lässt sich erahnen, dass die Begegnung mit der Müllerin nicht ganz so pessimistisch endet wie üblich. Boesch, Habjan sowie Markus Kraler und Andreas Schett, die beiden Leiter von Franui, gehen davon aus, dass mit des „Baches Wiegenlied“ nicht der Abschied von der Welt besungen wird, sondern, dass sich dem jungen Burschen nach dieser schmerzlichen Erfahrung schon noch die Welt öffnet „Wenn sich die Liebe dem Schmerz entringt, ein Sternlein, ein neues am Himmel erblickt“ heißt es zuvor so schön. Was sich in der üblichen Klavierbegleitung nur zart andeutet, wird bei Franui zur entsprechend hoffnungsvollen Musiknummer.

Und sonst? Während der Totenschädel am Rande der Vorbühne verbleiben darf, verplausibilisieren Habjan und Boesch dort mit einer ab und zu zum Einsatz kommenden Müllerinnenpuppe und vor allem mit einem Puppentorso die Geschichte vom jungen Mann, der Freude, Enttäuschung, Leid, aber eben auch Läuterung erfährt. Eine sicher legitime, andere Interpretation. 

Das subtile Spiel mit dem Puppenkopf, hinter dem er selbst verschwindet, hat Habjan in jeder Geste verinnerlicht, für Boesch ist es eine enorme Herausforderung. Auch er muss die Puppe ab und zu führen, aber gleichzeitig mit der Stimme und immer wieder auch als Person präsent sein. Die szenische Ruhe, die man sich gelegentlich gewährt, ist gut intendiert. Die stimmliche Ausdrucksfähigkeit vermag dabei ebenso zu überzeugen wie die Art, wie sich der Künstler zurücknimmt und sich auf die Musicbanda verlässt. 

Es ist ein Geben und Nehmen, das niemals mit der üblichen Besetzung von „Die schöne Müllerin“ für Singstimme und Klavier zu vergleichen ist, auch nicht damit verglichen werden soll. Es ist ein Geben und Nehmen zwischen den Musikern, dem Sänger und dem Puppenspieler aus dem sich enorme Spannung und Ausdruckstiefe entwickelt.

Die Tempo-Behandlung, die Polka-Sequenz, die hinzugefügte Bearbeitung des Kupelwieser-Walzers sowie die durchaus überraschenden Akkordeon-, Harfe- und Hackbrett-Einsätze von Franui bieten einen zusätzlichen Genuss. Nach dem Jubel und den Ovationen in Graz war die begeisterte Reaktion des Publikums in Bregenz keine Überraschung, der Run auf die letzten der vielen Tickets jedoch besonders erfreulich.

Christa Dietrich

Kommentare sind geschlossen.