Musikalische Sternstunde in Lech
Das wagt kaum jemand. Geprägt von großer Wertschätzung haben Marlies und Franz Wagner, Leiter und Initiatoren des Lech Classic Festival, aber eine derart gute Verbindung zu herausragenden Künstlerinnen und Künstlern aufgebaut, dass sie die 11. Ausgabe ihrer Konzertreihe mit einem höchst außergewöhnlichen Programm starten konnten. Richard Strauss’ „Vier letzte Lieder“ bedeuten in diesem Rahmen eine enorme Herausforderung für das Orchester. Die Werke bedingen zudem das Engagement einer Sopranistin, die mit der Klangwelt des Komponisten absolut vertraut ist und deren Stimme ihr so viel Sicherheit verleiht, dass sie der Aufführung dieser anspruchsvollen Werke unter zwar akustisch guten, aber nicht absolut einwandfreien Bedingungen zustimmen konnte. Camilla Nylund, seit Jahren an großen Opernhäusern engagiert, unter anderem gefeierte Elsa bei den Bayreuther Festspielen, ist ausgewiesene Strauss- und Wagner-Expertin und ist offenbar bzw. bekundet durch ihre Auftritte in Lech sehr angetan von den Ideen, die Marlies und Franz Wagner mit dem Festival verfolgen.
Dazu zählt auch die Begegnung mit klassischer Musikliteratur, mit der ein Großteil des Publikums noch nicht vertraut ist.
Wenn schon, dann auf höchstem Niveau, hat das Motto in diesem Fall gelautet und so entstehen Sternstunden. Camilla Nylund, der Dirigent Tetsuro Ban mit seinem Festivalorchester und mit Kristine Suklar, eine ungemein sensibel agierende Konzertmeisterin, haben in Lech nun eine solche geboten.
Die 1948 entstandenen „Vier letzten Lieder“ nach Gedichten von Hesse und Eichendorff thematisieren einen Lebenslauf bzw. das Abschiednehmen. Diese eigentümliche Rückkehr zur Romantik erfordert nicht nur Höhe, Stimmtechnik und Intensität im Ausdruck, sie erfordert vor allem fein nuancierte Klangfarben von ganz hell bis dunkel. Dies alles und ein begeisternd gutes Gefühl für die enormen Bögen war beim Auftritt von Camilla Nylund in Lech zu erleben.
Dass die Saalakustik im durchaus komfortabel adaptierten Sportpark einen satteren Orchesterklang etwas behindert, wird zur Nebensache, wenn man bedenkt, dass es überhaupt gelang, für dieses Festival eigens ein Orchester zu etablieren, das in einer Woche sechs Konzerte anbietet.
Gustav Mahlers „Adagietto“ aus der 5. Sinfonie zur Einstimmung auf Strauss anzubieten, ist musikhistorisch eine hervorragende Idee und konfrontierte zudem mit der guten Streicherbesetzung. Dass das Publikum besonders auf Virtuosenstücke abfährt, war zu erwarten. Dalibor Karvay, Konzertmeister der Wiener Symphoniker, erwies sich beim 2. Violinkonzert von Wieniawski als Solist, der kultiviert aufzutrumpfen versteht. Ein Genuss, nach dem das Orchester mit der sinfonische Dichtung „Les Préludes“ von Franz Liszt die Stärken in allen Instrumentengruppen zum Ausdruck brachte.
Ohne Vergleiche anzustreben, sei erwähnt, dass Musikfreunden aufgrund der Programmierung in Lech bzw. wohl auch zufällig die schöne Möglichkeit geboten wurde, sich gleich zwei Mal mit den „Vier letzten Liedern“ von Richard Strauss auseinanderzusetzen, am vergangenen Sonntag im Rahmen des 2. Orchesterkonzertes der Wiener Symphoniker mit Rachel Willis-Sørensen bei den Bregenzer Festspielen und am Tag darauf mit Camilla Nylund am Arlberg.
Weitere auffallende Programmdetails und beste Aussichten auf einen neuen Konzertsaal
Einige Hinweise noch: Auffallend in der Programmgestaltung des weiteren Festivals (bis 6. August) sind die Gegenüberstellungen, erklingt neben dem „Te Deum“ von Bruckner doch auch das „Te Deum“ in C-Dur von Haydn. Der Sakralmusik ist mit Ausschnitten aus der Großen Messe in c-moll von Mozart, aus der Messe in Es-Dur von Schubert sowie aus dem Requiem von Mozart und Verdi überhaupt ein großer Teil gewidmet. Camilla Nylund übernimmt zentrale Partien und wird das Publikum auch mit dem „Agnus Dei“ von Mozart (aus der Krönungsmesse) und Beethoven (aus der Missa solemnis) konfrontieren.
Verwiesen werden soll auch auf das Engagement weiterer Solisten wie Slávka Zámečníková (Sopran), Peter Kellner (Bass) und Pascal Deuber (Horn) sowie auf die Tatsache, dass die Fertigstellung eines Zentrumsgebäudes in der Arlberggemeinde mittlerweile so weit gediehen ist, dass dem Lech Classic Festival im nächsten Jahr ein neuer Konzertsaal zur Verfügung steht.
Christa Dietrich