Die letzte Saison von Elisabeth Sobotka in Bregenz: Klar definierte Identität der Festspiele mit klugem Augenmerk auf die notwendige Dynamik

Die letzte Saison von Elisabeth Sobotka in Bregenz: Klar definierte Identität der Festspiele mit klugem Augenmerk auf die notwendige Dynamik

Wer im vergangenen Sommer die Landschaft auf dem Areal der Bregenzer Seebühne und -tribüne erkundete, konnte feststellen, dass es da ein paar künstliche Bäume neben den echten gab, dass das sommerliche Ambiente von einer Art Winterszene unterbrochen war. Ich hatte im Rahmen meiner Rezensionen für die Austria Presse Agentur erwähnt, dass hier bereits die Wirkung der neuen Seebühnenoptik getestet wird. Philipp Stölzl inszeniert Carl Maria von Webers Oper „Der Freischütz“ und greift für das Werk in die Uferflora ein. Selbstverständlich umweltverträglich. Dass sich die Wolfsschlucht, das bekannteste Setting in diesem 1821 uraufgeführten Werk um einen verliebten jungen Mann, der zur Bescheinigung der Ehefähigkeit eine Schießprüfung zu bestehen hat, unter der Wasseroberfläche befinden könnte, ist naheliegend. Wie Stölzl die Szene in der Wolfsschlucht bewerkstelligt, in der er einen Pakt mit dem Bösen eingeht bzw. in der die Freikugeln gegossen werden, wird spannend. Nach seiner „Rigoletto“-Inszenierung mit dem riesigen, bewegten Clownskopf traut das Publikum dem deutschen Regisseur und Bühnenbildner jedenfalls so viel zu, dass die Kartennachfrage bereits jetzt zur Fixierung einer zusätzlichen Aufführung geführt hat.

Im Festspielhaus inszeniert Jan Philipp Gloger bekanntermaßen Rossini Frühwerk „Tancredi“. Das Sujet – es geht um verfeindete Familien bzw. Clans – ist klassisch und lässt sich somit locker aktualisieren. Yi-Chen Lin dirigiert, Mezzosopranistin Anna Goryachova übernimmt die Titelrolle.

Rossini taucht einen zweites Mal im Programm auf. Nach den Inszenierungen von „Der Barbier von Sevilla“ und „Die Italienerin in Algier“ konnte Brigitte Fassbaender erneut als Regisseurin für das Opernstudio gewonnen wird. Das Kurzwerk „Der Ehevertrag“ lässt sich exzellent mit Puccinis bissiger Komödie „Gianni Schicchi“ zu einem Opernabend kombinieren. 

Dass Elisabeth Sobotka in ihrer letzten Saison als Intendantin in Bregenz nicht nur auf eine Uraufführung setzt, war angesichts der enormen Bandbreite ihres jeweiligen Programmangebots zu erwarten. Ondrej Adámeks „Unmögliche Verbindung“ wird in Kooperation mit dem Ensemble Modern uraufgeführt und David Pountney, Intendant von 2004 bis 2014 sowie Regisseur von insgesamt drei Seebühneninszenierungen und mehreren Indoor-Opern, kommt als Regisseur und Librettist (sowie mittlerweile für seine Leistungen geadelt) nach Bregenz zurück. In „Hold Your Breath“ von Ena Brennan konfrontiert Sir David mit einer ungewöhnlichen, aber sehr klugen Bühnenkreatur, einem Oktopus. Bereits Ende Februar und Ende Mai werden dem Publikum weitere Einblicke in die Entstehung dieser Oper gewährt. 

Was das Burgtheater nach Bregenz liefert, ist ebenfalls bereits bekannt. Die Premiere von Martin Kusejs Inszenierung von „Der Menschenfeind“ fand bereits vor wenigen Tagen in Wien statt. Wie das Bregenzer Publikum diese Sicht auf den Klassiker von Molière aufnimmt, der sehr auf österreichische bzw. Wiener Verhältnisse zugeschnitten wurde, wissen wir am nächsten Osterwochenende. Schön, dass es gelungen ist, jene Produktion des Deutschen Theaters Berlin doch noch zu zeigen, die im vergangenen Sommer wegen der schweren Erkrankung des Hauptdarstellers Ulrich Matthes abgesagt werden musste. Kleists „Der zerbrochne Krug“ gibt es ebenfalls bereits vor der offiziellen Festspieleröffnung, nämlich Mitte Juni. 

Neben diesen Gastspielen enthält das Schauspielprogramm allerdings noch eine echte Premiere bzw. eine Uraufführung. „Mondmilch trinken“ lautet der Titel eines Werks von Josef Maria Krasanovsky, das im Rahmen eines Wettbewerbs der Österreichischen Theaterallianz zum Sieger gekürt wurde und das die Festspiele in Kooperation mit dem Bregenzer Theater Kosmos und dem Klagenfurter Ensemble realisieren. Der Theaterallianz gehören österreichische Mittelbühnen wie Kosmos, das Klagenfurter Ensemble, das Schauspielhaus Salzburg und weitere Häuser an. In Anlehnungen an den „Freischütz“ lautet die Themenvorgabe für die Wettbewerbsteilnehmer „Deal or no deal“.

Als Solist des ersten Konzertes der Wiener Symphoniker tritt der aus Vorarlberg stammende, längst international erfolgreiche Kian Soltani mit dem Cellokonzert von Schumann auf. Giedrė Šlekytė dirigiert. Im Rahmen des dritten Konzertes wird ein Auftragswerk an den Österreicher Thomas Larcher gespielt. 

Neben zahlreichen weiteren Programmpunkten zu denen auch die Kinderoper „Pinocchio“ zählt, sollte der Reihe Musik & Poesie besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. „Landkarte eines Verbrechens“ ist eine Uraufführung des Komponisten Marcus Nigsch nach Texten des Schriftstellers Michael Köhlmeier, der selbst als Sprecher auftritt.

Ach ja, die Musicbanda „Franui“ hätte man wohl vermisst, gäbe es nicht die Möglichkeit, „Hotel Savoy“, ein politisch aufgeladenes Musiktheater mit Kompositionen auf Lehár, Kalmán, Oscar Strauss u. a. nach dem Roman von Joseph Roth aus Stuttgart ins Programm zu holen. 

Dass Nikolaus Habjan nicht nur exzellenter Puppenspieler und Regisseur (von mittlerweile zahlreichen Opern), sondern auch Kunstpfeifer ist, weiß man. „Ich pfeif’ auf die Sobotka“ betitelt er sein Programm, das einige Lieblingsarien der Intendantin enthält. 

Elisabeth Sobotka, die 2015 die künstlerische Leitung der Bregenzer Festspiele übernahm, wechselt nach der Saison 2024 an die Staatsoper in Berlin. Ihre Intendanz in Bregenz ist charakterisiert von mehreren Innovationen und einem breit gefächerten Programm. 

Die Identität der Bregenzer Festspiele klar zu definieren, aber dabei die notwendige Dynamik nicht aus den Augen zu verlieren, ist eine Leistung, die noch zu erörtern ist.

Christa Dietrich

Bild: Aus dem Werbevideo für den „Freischütz“ auf der Seebühne sowie ein Detail aus dem Bühnenbildmodell, das im Sommer am Ufer lag, aber von kaum jemanden bemerkt wurde. (Ich hatte u. a. für die APA darüber berichtet.)

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