Schultheater Egg spielt den “Arturo Ui” von Brecht und analysiert die Aufhaltsamkeit eines Aufstiegs
Die Verankerung der „Dreigroschenoper“ im Kanon der Dramenliteratur macht das Werk von Bert Brecht und Kurt Weill neben einigen Klassikern selbstverständlich auch für die Erarbeitung im Rahmen von Schultheaterprojekten interessant. Trotz der enormen Herausforderung, die sich dabei den Amateurschauspielern und Pädagogen stellt. Doch wie verhält es sich diesbezüglich mit dem 1941 von Brecht und Margarete Steffin im finnischen Exil verfassten und erst 1958 in Stuttgart uraufgeführten Theaterstück „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“?
Sollte man der Meinung sein, dass diese Parabel zu komplex ist, um sie Schülerinnen und Schülern anzuvertrauen, dann war man nicht in Egg. Am dortigen Gymnasium fand jüngst die Premiere einer „Arturo Ui“-Produktion statt.
An Schultheater grundsätzlich interessiert und nachdem ich an diesem Ort nicht nur gute Darbietungen von „Romeo und Julia“ und „Ein Sommernachtstraum“ erleben durfte, sondern auch bei Aufführungen von Arthur Millers „Hexenjagd“ oder „Kolumbus 1492“ von Jura Soyfer vom Interesse des Direktors und Regisseurs Ariel Lang an der Literatur des 20. Jahrhunderts und an eminent politischen Themen profitieren konnte, ließ ich mir den Termin nicht entgehen.
Selbstverständlich hatte ich die Bilder jener legendär gewordenen Inszenierung des Werks von Heiner Müller am Berliner Ensemble mit Martin Wuttke in der Titelrolle im Kopf, die ich nach 1995 insgesamt noch drei Mal gesehen hatte, um mich mit Details der Umsetzung zu befassen. Müller hatte die Verlegung der Machtergreifung von Adolf Hitler ins Gangstermilieu von Chicago nicht dazu inspiriert, die Figuren skurril zu überzeichnen, wie es in jüngeren Inszenierungen an deutschen Bühnen zu beobachten ist. Seine Arbeit, die die Korrumpierbarkeit, Brutalität und Skrupellosigkeit der Handelnden bei Erkennbarkeit der historischen Personen zeigt, die für diesen Ui, für Roma, Giri, Givola, Dullfeet oder auch Dogsborough stehen, mit jenen von Amateuren zu vergleichen, wäre natürlich ein Unsinn. Es ist aber erstaunlich, wie in Egg mit hoher Konzentration auf den Text und sekundengenauer Reaktion der Schülerinnen und Schüler in einer kargen, fast aktionsfreien, hörspielhaften Umsetzung ungeheure Spannung aufgebaut wird. Dabei entwickelt sich eine enorme Bühnenpräsenz der Handelnden, die – ohne inszenatorische Manipulationsmechanismen – über die gesamte Aufführungsdauer von zwei Stunden fesselt.
Es gibt keine Marschmusik, nur Harfenklänge und eine Sprecherin verweist während des Aufstiegs des Gangsters Ui, der sich einen Gemüsetrust einverleibt, im dokumentarischen Tonfall auf die historischen Gegebenheiten zwischen der Weltwirtschaftskrise in den 1920er-Jahren und dem Jahr 1938 in Deutschland und Österreich.
Welcher der Bühnenfiguren für Röhm, Göring, Goebbels, Hindenburg oder Dollfuß stehen, können sich die Zuschauer selbst ausmalen. Keine Imitationsfertigkeiten zu beweisen, sondern bei der Gestikulation in leichten Andeutungen zu verbleiben, ist ein guter Weg, für den sich die Ui-Darsteller (hier sind es Martin Kolb und Laurin Albrecht) entschieden haben.
Man sitzt auch angesichts der Sprechkompetenz der insgesamt 38 Mitwirkenden im besten Sinn betroffen und berührt im Zuschauerraum und beklatscht am Ende sowohl die Leistung wie die Intention. Brecht hat das Geschehen ins Gangster- und Geschäftemachermilieu von Chicago verlegt, es braucht hier keine konkrete Aktualisierung, keinerlei Verweise auf die Gegenwart mit den Rechtskonservativen, Rechtsradikalen, Antidemokraten und Populisten in Europa wie in Amerika. Man hat sie ohnehin in den Köpfen.
Machtgier, Korrumpierbarkeit, Brutalität und Opportunismus – im Übrigen unter dem verkürzten Titel “Der Aufstieg des Arturo Ui” – und damit der eindeutigen “Aufhaltsamkeit” einer Analyse zuzuführen, kann ausreichen.
Christa Dietrich
Weitere Aufführungen: 17.März, 20 Uhr, Gebhard-Wölfle-Saal in Bizau; 23. März, 20 Uhr, Wäldersaal in Lingenau; 24. März, 20 Uhr, Hermann-Gmeiner-Saal in Alberschwende.