Fährt in die Knochen: „Morbus Hysteria“, uraufgeführt in Wien, demnächst beim Bregenzer Frühling

Fährt in die Knochen: „Morbus Hysteria“, uraufgeführt in Wien, demnächst beim Bregenzer Frühling

Konsens? Das wäre zu banal. Kompromiss? Hey, wir sind beim Aktionstheater. Mit „Morbus Hysteria“ hat sich das Ensemble um Martin Gruber, das seine Texte immer selbst konzipiert, dem Rechthaben angenommen, den Bubbles, den Blasen, vor denen die Soziologen seit Jahren warnen. Sie engen den Wahrnehmungsradius ein. Jeder fühlt sich dort gut aufgehoben, wo die eigene Sicht der Dinge bestärkt wird. Wir kennen das alle, es wurde x-fach durchgekaut, Populisten macht es stark. Die Methode ist einfach – und sie funktioniert nach wie vor. Die Ausgrenzungspolitik in einigen österreichischen Bundesländern beweist es.

Große Themen, gut eingeflochten in alltägliche Situationen

„Wir haben alle recht“, lautet der Untertitel. Gut gewählt. Man müsste überhaupt eine schnelle Theater-Eingreiftruppe  haben, die rasch auf Ereignisse eingehen kann, hatte Elfriede Jelinek bemerkt, als uns die Banken- und Wirtschaftskrise im Griff hatte. Als Eingreiftruppe wurde das Aktionstheater ein paar Jahre später mit dem Nestroypreis ausgezeichnet. „Kein Stück über Syrien“, heißt diese Produktion.

„Morbus Hysteria“ ist in puncto Themenzugang und Schärfe damit vergleichbar. Was Martin Gruber auch hier so konsequent vermeidet, ist jegliches Pathos sowie – das ist angesichts des Untertitels nicht ironisch gemeint – eine Art der Besserwisserei, die man Autorinnen und Autoren zugesteht und die mitunter auch erwartet wird.

Nichts damit, als Interviewpartner bringt Martin Gruber seine persönliche Sicht auf die Politik mit gut nachvollziehbaren Analysen zum Ausdruck, als Theatermacher versteigt er sich nicht darin, den Welterklärern Futter zu liefern – er bietet Reflexionshilfen, sensibilisiert und vor allem – er unterhält. Und das verdammt gut und nie billig. Wir verfolgen in der neuen Produktion eine Auseinandersetzung von Michaela Bilgeri, Thomas Kolle,Kirstin Schwab, Tamara Stern und Benjamin Vanyek über Sprachsozialisation, Empathie, Herkunft, Nationalität, Arbeitswelt, musikalische Vorlieben, rechte Gesinnung, Marktmechanismen etc. Große Themen, ja, aber ungemein gut eingeflochten in alltägliche Situationen, in das, was oft einfach schnell hingesagt wird. Etwa wie das von der Thatcher, die Benjamin für eine taffe Frau hält, weil sie sich durchgesetzt hat. „Ohne Margaret Thatcher kein Punk.“ 

„Was ist los mit Dir“, heißt es dann und mit Rio Reisers „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ wird es am Ende, wenn sich kurz Wut entlädt, einmal, aber wirklich nur einmal etwas seicht, denn die Musiknummern von Nadine Abado, Andreas Dauböck und Pete Simpson ergänzen das düstere Stück genial, dem Videokünstlerin Resa Lut  mit ihren grauschwarzen Gewächsen, an denen sich ab und zu ein Fuchs vorbeischleicht, das entsprechende Outfit verleiht. Tonnenschwer wirken die schwarzen Kugeln, die Michaela Bilgeri, Tamara Stern (übrigens mit toller Gesangsstimme) Thomas Kolle, Kirstin Schwab und Benjamin Vanyek schließlich schweben lassen wie ihre harten Bandagen. Das Schweben hat dabei nichts Unverbindliches, es wirkt konkret wie die Aufforderung Tupoka Ogette zu lesen.

Christa Dietrich

„Morbus Hysteria“ steht bis 4. Juni im Werk X in Wien und vom 15. bis 18. Juni beim Bregenzer Frühling auf dem Programm.

Szenenbilder: Breitwieser, Applausbilder: Dietrich

Kommentare sind geschlossen.