Agitation, Kondome für alle beim Straßentheater und vor allem: Unpop is back
Eines steht auf jeden Fall fest: Aus dem Theaterstück bzw. dem Theatergedicht „Die Politiker“ von Wolfram Lotz lassen sich Sätze extrahieren, mit denen man ganz wunderbar Plakatwände beschriften kann. Zur Wahl des Theaters Unpop, das sich für „Leckt mich doch mit euren kleinen Zungen ihr kleinen Männer“ oder „Oh meinen lahmen Hass schenke ich euch“ sowie „Wer seid ihr denn, dass ihr glaubt, dass ihr was Besseres seid?“ hätte ich noch Folgendes hinzugefügt: „Habt ihr sie etwa nicht gewählt? Wer dann? Die Eichhörnchen im Park?“
In schwarzer Farbe macht sich das gut auf weißem Hintergrund. Dieser Ästhetik folgten auch Caro Stark und Stephan Kasimir. Sie ist Ausstatterin, er Regisseur und gemeinsam leiten sie das Ensemble für unpopuläre Freizeitgestaltung (kurz: Unpop), das 2016 in Dornbirn erstmals in Erscheinung trat.
Es war mit „Einige Nachrichten aus dem All“ ein Stück von Wolfram Lotz, mit dem sie die regionale Theaterszene ergänzten und aufwühlten. Später folgten noch „Die lächerliche Finsternis“ und „Der große Marsch“ des deutschen Dramatikers, Lyrikers und Hörspielautors. Die drei genannten Texte wurden für die Bühne geschrieben, bei „Die Politiker“ bin ich mir nach den mit reichlichen inszenatorischen Tricks unterlegten Aufführungen in Hamburg in Wien nicht sicher.
Was die Regie hinzufügte, erwies sich oft als Bluff, nur gelesen gibt der Text mehr her, denn die Politiker- bzw. Wählerschelte, die hier in Gestalt eines Kinderreims („Sie lachen und klagen. Die Politiker zögern und wagen“) daherkommt, dahinkalauert („Die Politiker wollen nur an unser Geld, sie mögen es sehr und ich mag es ja auch. . .“) oder sich wichtig nimmt („Weiß die Meise auf dem Zaun, dass sie ein Vogel ist?“) dient nur dann der Reflexion, wenn sie nicht über Aktionen Gags oder was auch immer dahin getrimmt wird.
Kasimir und Stark wissen das und machen das Richtige: Sie stellen fünf Schauspielerinnen auf das Podium, teilen ihnen Passagen des leicht gekürzten Textes zu und verurteilen sie nahezu zu Unbeweglichkeit. Zu reinen Projektionsflächen, auf deren weißen Cargoanzügen jener schwarze Kreis mit dem Wählerkreuz prangt, der als riesiges Transparent als Bühnenhintergrund hochgezogen wird.
Das ist schließlich das, was Politiker wollen und okay, das ist Agitation. Aber hoppla, wir befinden uns auf der Straße. Kasimir und Stark haben „Die Politiker“ als Theaterprojekt bzw. Intervention im öffentlichen Raum konzipiert. Es wird kein Eintritt erhoben, auf einem Tischchen an der Seite gibts die üblichen banalen Wahlwerbegeschenke (Feuerzeuge mit dem Stücklogo, Stifte, aber auch Kondome, damit nicht etwa Politiker gezeugt werden) und wem es reicht, der kann gehen, wann er will. Am vergangenen Montag, in der eisigsten Augustnacht meines Lebens, in der Winterkleidung gebraucht wurde, sind es nur Einzelne.
Diana Kashlan, Pia Kolb, Claudia Seigmann, Nicola Trub und Katja Uffelmann erfüllen ihre Rezitatorinnenrollen präzise in kühler Distanz zum Text. Ab und zu Rhythmik, ab und zu etwas Ironie in der Stimme, aber mehr auf keinen Fall. Bingo! Ist der erkennbare Kunstgriff doch jener, dass der Autor exakt darauf achtet, dass die hundertfache Wiederholung von „die Politiker“, die Aneinanderreihung von Alltäglichem („Ich esse einen Apfel“) und Bildern („Der Punkt im Meer ist ein Hund, der darin schwimmt, die Politiker kommen an mit einem Rettungsboot und helfen ihm an Deck in seiner Not“) mit konnotierten Begriffen wie „Buchenwald“ und „9/11“ nicht direkt von ihm mit Bedeutung aufgeladen wird. Fern vom Geschwurbel über Dada, das man auch noch im Ankündigungstext auf der Homepage des Ensembles findet, liegt ein Angebot an die Zuschauer vor.
Nach der Premiere in der Bregenzer Anton Schneider Straße (vor dem Eingang des Geldservice Austria) übermittelt es Unpop dem Publikum noch – bei mittlerweile wieder steigenden Temperaturen – am 9. August, 18 Uhr 30 Uhr im Parkbad Lustenau, am 10. August, 21 Uhr, am Kirchplatz in Lustenau und am 12. August, 20 Uhr, am Leutbühel in Bregenz. In Kooperation mit der Kulturinitiative Caravan ist die Unpop-Produktion zudem Teil eines umfangreichen Kunstprojektes der Kulturabteilung der Landeshauptstadt. Unter dem Titel „Das große Fressen“ werden Wertesysteme unserer Konsumgesellschaft hinterfragt. Derart differenziert übrigens, dass die Produktion von „Die Politiker“ von Lotz daneben nicht als zu viel an Agitation wahrgenommen werden kann.
Christa Dietrich