Weit weg und doch so nah: Nibelungenspaziergang mit Theatermacherin Brigitte Walk in Hohenems
Alte Handschriften sollte man weder einfach so verschenken, noch billig verkaufen. Leider hatte die letzte Nachfahrin der Hohenemser Grafen keine Ahnung davon, welche Schätze sie mit den Handschriften A und C des Nibelungenliedes geerbt hatte. Jedenfalls kam eine zu äußerst günstigen Konditionen in die Bayerische Staatsbibliothek und die Handschrift C ins Haus Fürstenberg nach Donaueschingen, wo man sich der Bedeutung der Dichtung bewusst war. Wie sie vor gut zwanzig Jahren in die Badische Landesbibliothek gelangte, machte ob der Millionen, die die Dichtung aus dem 13. Jahrhundert wert war, jedenfalls Schlagzeilen.
Gefunden wurden die beiden Handschriften Mitte des 18. Jahrhunderts in der Bibliothek des Hohenemser Palastes übrigens von einem Lindauer und einem Schweizer. Die Eidgenossen haben noch ihre Handschrift B, sie befindet sich in der St. Galler Stiftsbibliothek. Die Hohenemser haben nichts mehr.
Der in diversen Texten immer wieder auftauchende Begriff Nibelungenstadt ist somit absurd. Aber immerhin, noch ist das Rätsel über die Urheberschaft nicht gelöst und dass der Verfasser einmal im Ort war nicht gänzlich ausgeschlossen.
Kulturvereine initiierten jedenfalls schon vor Jahrzehnten Nibelungenspiele. Im Nibelungenmuseum, das Schubertiade-Geschäftsführer Gerd Nachbauer neben mehreren öffentlich zugänglichen Sammlungen in Hohenems eingerichtet hat, sind Umsetzungen des Nibelungen-Themas für die Bühne dokumentiert. Dass sich Richard Wagner für seinen „Ring des Nibelungen“ nur wenige Motive entlieh, ist hinlänglich bekannt, aber nachprüfenswert.
Siegfried und Brünhild, die wichtigen Personen von zwei bzw. drei Werken dieses Opernvierteilers, stehen immerhin auch im Zentrum des Nibelungenliedes. Die Handlung des Liedes macht jedenfalls Schluss mit höfischer Minne und Ritterlichkeit, es geht zwar auch um Liebe und Leidenschaft, aber vor allem um Neid, Missgunst, Niedertracht fragwürdige Ehre und Verletzungen aus denen sich Hass und Gewalt entladen. Und am Ende sind alle tot.
Eignet sich das Paraphrasieren dieses Krimis, den der namhafte, in Hohenems lebende Schriftsteller Michael Köhlmeier so eindringlich nacherzählt hat, für einen Theaterspaziergang in der Stadt? Brigitte Walk, Regisseurin und Leiterin des Unternehmens Walktanztheater, hat Erfahrung in der Darstellung literarischer Szenen im öffentlichen Raum. Konnte sie in ihren eigenen Produktionen dabei auf die Bildwirkung von fantasiereich kostümierten Darstellern oder die Verflechtung von Orten und Textinhalten zählen, so stellt dieses Auftragswerk der Stadt Hohenems eine besondere Herausforderung dar.
Abgesehen davon, dass die Bibliothek des Hohenemser Palastes für solche Projekte nicht geöffnet wird (nur etwa für ein Brünhilden-Stück im Rahmen des Puppentheaterfestivals Homunculus ließ man vor Jahren einmal Publikum in diese Räumlichkeiten), stehen die Orte und die Handlung in keinerlei historischer Verbindung zueinander. Ein Konzept musste somit her und es ging ob seiner Stringenz auf. Brigitte Walk ließ sich vom Vorarlberger Autor Amos Postner eine leicht fassbare Nacherzählung entwerfen und fügte ein paar Zitate aus den Nibelungen-Dramen von Hebbel sowie Passagen aus gängigen Übersetzungen des Liedes aus dem Mittelhochdeutschen sowie Kernsätze aus dem Original hinzu: „Uns ist in alten mären wunders vil geseit . . .“
Ihre drei Schauspieler Katarina Hauser, Fabian T. Huster und Suat Ünaldi erzweisen sich als hervorragende Rezitatoren, die mit unterschiedlich gefärbtem Sprachduktus in der Lage sind, die Rollen von Kriemhild, Brünhild, Siegfried, Gunther, Hagen und der Erzähler zu übernehmen. Und zwar so, dass auch jeder, der den Ablauf der Handlung noch nicht intus hat, dem düsteren Geschehen folgen kann und dass bei allem Spektakel in den skurrilen Kostümen von Sandra Münchow die psychologischen Feinheiten deutlich werden. Gut intendiert erfährt man etwa vom schändlichen Vergehen von Siegfried an Brünhild durch eine Einspielung im ehemaligen Beinhaus der Pfarre. (Zur Erklärung: Siegfried war dem schwächlichen König Gunther für die Erlaubnis, seine Schwester Kriemhild heiraten zu dürfen, etwas schuldig. Er besiegt Brünhild für Gunther unter Verwendung seiner Tarnkappe nicht nur im spielerischen Kampf, sondern verhilft seinem Schwager auch recht grausam zum Ehevollzug.) Brünhild fordert, wie wir wissen, daraufhin den Tod des Helden, was Hagen wiederum passt, der sich intrigant Wissen um Siegfrieds Verwundbarkeit verschafft und ihn ersticht. Das geschieht in jenem wunderschönen Garten, der ansonsten nur den Besuchern des Schubert-Museums offen steht, für das Gerd Nachbauer den alten Pfarrhof renovieren ließ. (Der Schubertiade-Geschäftsführer beschenkte die Produktion mit seiner Anwesenheit bei der Premiere, hielt sich aber bescheiden im Hintergrund.) Wenn Kriemhild Rache schwört, befinden wir uns übrigens in einem dunklen Kellergewölbe im Stadtzentrum.
Den Spaziergängen dürfte übrigens aufgefallen sein, dass es in Hohenems viele Lindenbäume gibt. Es war ein Lindenblatt, das einst auf Siegfrieds Rücken fiel und damit an einer einzigen Stelle des Körpers die Berührung mit dem Blut des getöteten Drachen verhinderte, das ihm zu einem sicheren Panzer wurde.
Der Theaterspaziergang beginnt an jenem Brunnen vor dem Palast, der nach einem Entwurf des Künstlers Hannes Scherling mit Figuren aus der Nibelungensage gestaltet wurde. Als Mosaike schimmern sie auf dem Grund des Wasserbeckens. Irgendwie weit weg wie das Mittelalter mit seinen Herrschern und Gefolgsleuten und doch so nah, weil uns die Gefühle nicht fremd sind, die hier eine Tragödie auslösen und in das finale Gemetzel münden. „Und schleppt die Welt auf eurem Rücken weiter“ heißt es am Schluss. Der Spaziergang endet im Hof einer kleinen Werkstatt. Gut gewählt, hat die Aufführung doch zum Nachlesen angeregt und zum Nachdenken darüber wie Friedfertigkeit erreichbar ist.
Christa Dietrich
Die Theaterspaziergänge werden noch bis September angeboten: hohenems.at