Kritische Betrachtung zum Nestroy-Preis
Eine Selbstbeschau im Sinne einer Selbstreflexion ist etwas Gutes, auf das Kunst- und Kulturgeschehen bezogen, ist die Selbstbeschau jedoch aus erklärbarem Grund auch negativ besetzt. Wenn der Blick hinaus in die Welt fehlt, wird es eigentümlich. Nehmen wir als Beispiel den Nestroy-Preis.
Vergeben wird er seit gut 20 Jahren und, ja, der Untertitel lautet “Wiener Theaterpreis”. Finden Produktionen in den Bundesländer Berücksichtigung, dann sollte das somit als besondere Gnade verstanden werden. Ist es so?
Der Auslober, der Wiener Bühnenverein, wird es verneinen. Der Nestroy-Preis soll an sich den Ruf einer gesamtösterreichischen Auszeichnung im Bereich der darstellenden Kunst haben. Spätabends zwar, aber immerhin, der ORF strahlt die Gala aus. Man feiert sich allerdings als gäbe es jenseits von Tulln, Mödling und Fischamend kaum noch Theaterproduktionen, die der Rede wert sind. Beste Schauspielerin, beste Schauspieler, beste Nebendarsteller, beste Regiearbeit, bester Nachwuchs, beste Ausstattung – wo wird man sie finden? Na klar, in Wien. An das Volkstheater, das kleine Schauspielhaus und an das Akademietheater (die kleinere Bühne des Burgtheaters) gingen die Preise heuer.
Damit der Jury nicht unterstellt werden kann, übersehen zu haben, dass es in der Steiermark, in Niederösterreich, Oberösterreich Kärnten, Tirol, Salzburg und Vorarlberg Landestheater gibt, die oft als gut florierende Zweispartenhäuser geführt werden, die gemeinsam einige hunderttausend Besucher erreichen bzw. nach vehementer Kritik wird seit rund zehn Jahren auch ein Preis für die beste Bundesländer-Aufführung vergeben. “Garland” von Svenja Viola Bungarten, inszeniert von Anita Vulesica am Schauspielhaus in Graz, wurde mit einer Auszeichnung bedacht. Gratulation!
Keine Transparenz
Hier geht es keinesfalls darum, den Preis für diese Bühne in irgendeiner Form zu schmälern, hier geht es um grundsätzliche Überlegungen. Wie viele der Juroren bereisen die Bundesländer und sehen sich dort die Produktionen an? In Vorarlberg wurde – so das Ergebnis meiner Nachfrage – bereits über einen längeren Zeitraum keine einzige Produktion besucht. Dem Tiroler Landestheater in Innsbruck – ein paar Zugstunden weniger von Wien entfernt – mag es vielleicht besser ergehen, allerdings darf man beim Blick auf die Jurybesetzung wohl nicht davon ausgehen, dass kontinuierlich beobachtet wird, auf welchem Niveau man dort arbeitet.
Die Transparenz der Tätigkeit bzw. des Radius jener Juroren, die die Künstlerinnen, Künstler und Produktion nominieren sowie der mit mittlerweile gut 300 Theaterleuten besetzten “Akademie”, die die Preisträgerinnen und Preisträger bestimmen, gäbe ein interessantes Bild. Es dürfte nicht der Theaterlandschaft Österreichs entsprechen.
Kein Abbild der Theaterlandschaft
Mit Ausnahme vom Schauspielhaus Wien bleiben die Mittelbühnen, etwa das Schauspielhaus Salzburg, das Theater Phönix in Linz, das Theater Kosmos in Bregenz, das Theater am Lend in Graz und das Klagenfurter Ensemble zudem völlig unbeachtet. Kosmos hat sich Ur- und Erstaufführungen verschrieben, die besondere Geschichte der Linzer Phönix-Bühne braucht keinem, der mit der darstellenden Kunst in Österreich zu tun hat, erläutert werden.
Unter der Kategorie Off-Produktion sind diese Bühne jedenfalls nicht berücksichtigt.
Schön, dass es den Nestroy-Preis gibt, aber er ist kein österreichischer Theaterpreis.
Übrigens: Demnächst wird der deutsche Theaterpreis “Der Faust” verliehen. Im Schauspielhaus Düsseldorf. Eine Berlinlastigkeit ist ausgeschlossen, der Blick auf die Nominierten bestätigt es.
Christa Dietrich